Ahoi, Kapitän
Lothar Bergander baut in seiner Werkstatt Modellschiffe, meist ohne Plan, dafür in extra gross. Gern auch mehrere gleichzeitig.
Modellbausätze in dieser Grösse, die gibt es natürlich nicht. Massstabsgetreue Pläne? Fehlanzeige. Oft baut Lothar nach Fotos, und seien sie noch so klein. «Er weiss immer, wie’s wird», sagt er und deutet mit beiden Händen auf seinen Bauch. Lothar weiss, wovon er redet. Und woher das Bauchgefühl kommt. Von 1957 bis 1989 fuhr er mit Unterbrechung selbst zur See. Mit 17 heuerte er als Schiffsjunge auf dem Frachter «Land Hadeln» an, arbeitete sich zum Bootsmann hoch, zum ersten Offizier, bis er mit gerade mal 25 zum Kapitän berufen wurde – weil der, mit dem er losfahren sollte, an Bord in einer Ladung Getreide ausrutschte und sich beide Beine brach. Angst hatte er nicht in der Situation. «Ach was, ich wusste, was ich machen musste», sagt Lothar. Als Kapitän machte er mit dem weiter, was er seit seiner ersten Fahrt auf der «Land Hadeln» getan hatte: Modellbauschiffe bauen. In seiner Freizeit, aber auch in ruhigen Momenten in der Funkbude. Die ersten aus Pappe und alten Seekarten, später wurden sie stabiler, grösser. «Immer wenn wir in einen Hafen kamen und der Schiffsmakler die Post brachte, hab ich gesagt: Bring mir Holz mit! Und Messingdrähte!», erinnert sich Lothar. So war das schon immer bei ihm: «Stillstand ist Rückgang. Ich muss immer was machen, immer muscheln.»
Lothar Bergander
«Ich musste auf das Holz warten», sagt Lothar, mal wieder. Corona bremste ihn kurz aus. Es juckte bereits in den Fingern, am «Osteexpress» weiterzuarbeiten. Nun sind die Sperrholzplatten endlich da, Lothar schneidet sie mit der Handkreissäge zu, formt dann mit der Stichsäge Spanten, die er mit dem Bandschleifer entgratet. So entsteht das Schiffsskelett. Danach folgt die «Beplankung», mit fünf Millimeter dicken, etwa ein Zentimeter breiten und 2,80 Meter langen Kiefernholzleisten aus dem Baumarkt. Abend um Abend, jeweils erst drei auf jeder Seite längs aneinandergelegt und geleimt, wächst so der Schiffsbauch – ohne sich zu verdrehen. Später wird er lackiert, so wie der schwarz-rote Korpus der «Ostetor» dahinter.
Wie in einem Trockendock ruht die «Ostetor» auf niedrigen Tischböcken. Lothar kann gerade noch drum herum gehen. Die Decks sind schon fertig, dem Schiff fehlt allerdings am Heck noch Schandeckel, der Abschluss also, auch dafür braucht Lothar ein Stück Leiste. Rasch kniet er sich hin, um mit der Hand die Biegung der Bordwand anzudeuten. Am Bug fehlt auch noch Verstärkung. Dafür verwendet er flache Holzstäbchen aus Bistros der Deutschen Bahn, die er dort geschenkt bekommen hat. Gekürzt auf rund zwei Zentimeter und nebeneinander verleimt, sollen sie die Spitze des Schiffs stabilisieren. «Ferngesteuert kann das dann gegen eine Wand fahren, und trotzdem passiert nichts», beteuert Lothar. Zumal er den Lack bis zu zehnmal aufträgt. Wasserdicht. Denn natürlich sind alle seine Schiffe «seetauglich». Deshalb wird bald auch die rund 40 Kilo schwere «Ostetor» getauft, auf den Hänger gepackt und mit einem Stapellauf zu Wasser gelassen. Auf dem Löschteich der Feuerwehr oder gleich auf der Oste, wenn das Wetter wieder besser ist.
Lothar Bergander
Das grösste und längste, die vier Meter lange «Land Hadeln», steht gleich im Carport neben der Haustür: Benannt ist es nach dem Frachter, auf dem er selbst seine erste Reise als Schiffsjunge machte und nachempfunden dem Passagierschiff «Song of America». Es hat zwei Sonnendecks. Eisbecher-Papierschirmchen, die ungenutzt in einer Schublade schlummerten, spenden potenziellen Passagieren Schatten am Pool. Lothar hat sie mit Klarlack haltbar gemacht. Und obwohl die «Land Hadeln» der Länge nach sein «Meisterstück» ist, so gehört sein Herz doch eigentlich den ehrlichen Frachtern, Bergungsschiffen und Eisbrechern. «Passagierschiffe sind nicht meins», sagt Lothar entschieden, «bei mir muss was passieren, da muss es was zu löschen geben.»
Text: Andrea Freund | Fotos: Bernd Jonkmanns