Zwei Dutzend vorgeschnittene Gitarrendecken baumeln unter der Decke des weiss getünchten Ladenlokals. José Rodríguez Peña nimmt eine der wie eine Acht geformten dünnen Holzplatten herunter, fährt mit dem Finger prüfend über die feine Maserung. Dann schüttelt er den Kopf, hängt sie zurück. Diese Prozedur wiederholt sich ein paar Mal. Dann endlich ein zufriedenes Nicken. Holzart – Alpenfichte –, Maserung und Farbe passen perfekt zur Gitarre, die er gerade für einen jungen Flamenco-Artisten aus Sevilla baut. Warum? «Das spürt man einfach», sagt der 61-Jährige und lacht. Holz mit den Fingern «lesen»zu können ist eine der Fähigkeiten, die sich der Instrumentenbauer in über 45 Jahren erworben hat.

José Rodríguez Peña

Seit 1971 fertigt José in seiner Werkstatt im südspanischen Córdoba Klassik- und Flamenco-Gitarren. Flamenco-Grössen wie Paco de Lucía und Vicente Amigo haben auf seinen Instrumenten gespielt, Profi- und Hobbymusiker aus aller Welt bestellen bei ihm. Dafür nehmen sie monatelange Wartezeiten und hohe Preise in Kauf. Ab 3000 Euro zahlt man für eine seiner Gitarren. Vom Schnitzen des Halses bis zu den aufwendigen Intarsien rund ums Schallloch macht José alles selbst, in Handarbeit. Ausser ihm beherrschen selbst in Spanien nur noch wenige Gitarrenbauer das Handwerk derart perfekt.

Vom Schnitzen des Halses bis zu den aufwendigen Intarsien rund ums Schalloch macht José Rodríguez Peña alles selbst, in Handarbeit
Gitarren aus einer Hand: José fertigt alles selbst

«Das Geheimnis ist das richtige Holz», erklärt der Meister, während er die Decke behutsam auf die Werkbank legt, «in ihm lebt die Seele der Gitarre.» Für Böden und Zargen, die Seitenteile seiner Flamenco-Gitarren, verwendet er Palisander oder Zypresse, für die Decke fast immer Alpenfichte. Ihr Holz ist elastisch und widerstandskräftig zugleich, daher klingt es besonders gut. Und es entwickelt sich weiter. «Je häufiger man spielt, desto voller und differenzierter der Klang.» Klassikgitarren baut er auch aus Zedernholz – für Musiker, die ein Instrument brauchen, dessen klangliche Eigenschaften konstant sind.

Die Decke hat er aus zwei gespiegelten Brettern zusammengeleimt und per Hand auf 2,5 Millimeter zugehobelt. Etwa ein halber Millimeter fehlt noch. José greift zum Putzhobel. Die Decke überträgt die Schwingungen und ist so entscheidend für den Klang. Am Rand muss sie eine Winzigkeit dünner sein als in der Mitte. Mit regelmässigen, ausladenden Bewegungen fährt der Meister übers Holz, danach nimmt er Schleifpapier zur Hand. Maschinen verwendet er nur, wenn es nicht anders geht. «So schönes Holz verdient es doch, mit der Hand bearbeitet zu werden», sagt José. Die engen Jahresringe auf der hellen Platte verraten, dass die Alpenfichte langsam und regelmässig gewachsen ist. Geschlagen wurde sie in Mittenwald, vor etwa 80 Jahren. «Hölzer für Instrumentenbau sollten mindestens 20 Jahre trocknen», erklärt José weiter. Er selbst verwendet keines, das jünger ist als 70 Jahre. «So kann ich garantieren, dass das Holz wirklich ganz langsam und regelmässig getrocknet ist – das ist klangentscheidend.»

José legt das Werkzeug für einen Augenblick zur Seite und holt einen armdicken Ebenholzbalken unter seinem Arbeitstisch hervor. Am Anschnitt glänzt rötlich etwas, das aussieht wie Harz: Überreste eines Klebstoffs, der bereits im Mittelalter verwendet wurde. Der Balken stammt aus dem 12. Jahrhundert und hielt vermutlich einst ein Altarbild. Irgendwann will er daraus einen Gitarrenhals schnitzen. Oder ein Griffbrett. Der Deckel einer alten Zederntruhe, der Balken eines Stadthauses, das schon lange nicht mehr steht: Dieser Mann kennt die Geschichte jedes Holzstücks in seiner Werkstatt.

Der Hölzer stammen aus dem Nachlass des andalusischen Altmeisters Miguel Rodríguez, den er teils vermacht bekommen, teils gekauft hat. «Das ist mein Vermögen», sagt er stolz, «solche alten Hölzer findest Du sonst nirgends.» Von Don Miguel hat José auch einen Teil der Beitel, Feilen und Hobel geerbt, die präzise nach Grössen geordnet an seiner Werkzeugwand hängen – und die Ausdauer bei der Suche nach Perfektion.

Verschmitzt lächelnd erinnert sich José, wie er als 14-Jähriger den Altmeister mit einem kunstvoll verzierten Instrument beeindrucken wollte. Damals hatte er als Hilfskraft in einer benachbarten Werkstatt gerade seine ersten Übungsinstrumente zusammengebaut. Doch sein Idol schüttelte missbilligend den Kopf. Er habe seine Zeit mit überflüssigem Schnickschnack verschwendet, sagte er. Eine Gitarre müsse gut klingen und leicht in der Hand liegen, mehr nicht. Von da an verbrachte José jede freie Minute bei Don Miguel. Von ihm lernte er, welchen Einfluss die Maserung auf den Klang hat, welche Witterung sich am besten für welchen Arbeitsschritt eignet – und dass nicht nur Holz Zeit zum Wachsen braucht. «Bevor ich das erste anständige Instrument fertig hatte, hat es fast 20 Jahre gedauert», erzählt José.

José Rodríguez Peña

Seine Frau Mercedes seufzt leise, wenn sie daran zurückdenkt. Es war keine einfache Zeit: Urlaube gab es nicht, alles Geld floss in die kleine Werkstatt. Ihre beiden Töchter spielten am Wochenende mit den Hobelspänen, während der Papa grübelte, warum das Instrument immer noch nicht so klang, wie er wollte. Doch das ist längst Vergangenheit, zum Glück. Inzwischen ist Josés Werkstatt eine Institution in der spanischen Flamenco-Szene, junge Instrumentenbauer holen sich Rat bei ihm. Längst könnte er sich auch ein, zwei Angestellte leisten. Macht er aber nicht. Er will die Kontrolle behalten, vom Zuschnitt bis zur Besaitung.

Die Decke ist fertig. José schiebt die Brille auf die Nasenspitze und zeichnet unter dem Schallloch die Lage der Balken an. Sie sorgen auf der Innenseite von Decke und Boden dafür, dass das dünne Holz unter der Spannung der Saiten nicht reisst. Masse, Anzahl und Anordnung der mit Stechbeitel und Geigenbauerhobel filigran gearbeiteten Balken hängen von der Beschaffenheit der Decke, von Holzart, Dicke, Maserung sowie den Wünschen seiner Kunden ab: Das Puzzle muss jedes Mal aufs Neue zusammengefügt werden. Wie er das macht, bleibt natürlich Betriebsgeheimnis.

Sind die Balken verleimt und getrocknet, werden Decke, Boden und die mit einem Biegeisen auf Form gebrachten Zargen mit einer Naht kleiner Holzblöcke verbunden. «Peones», also «Fussläufer» oder «Handlanger», heissen die Miniaturklötzchen auf Spanisch. Sie sind ein Symbol für die vielen Arbeitsschritte, die notwendig sind, um ein Stück Holz in ein Instrument zu verwandeln. «Und bei jedem dieser Schritte kannst Du Dich irren und das Instrument ruinieren», sagt José lachend. Kurz darauf wird er wieder ganz ruhig, jetzt ist höchste Konzentration gefragt. Egal ob er den Hals schnitzt, mit dem Hobelmesser eine Nut für den Zierstreifen spant oder den fast fertigen Gitarrenkörper wie ein Wunderwerk der Bondage-Kunst zum Trocknen schnürt: Der Mann ist immer bei der Sache. Und er nimmt sich für alles die Zeit, die es braucht.

Das gilt auch für die Politur. José fischt aus dem Sammelsurium seines Schranks ein Marmeladenglas mit bernsteinfarben schimmerndem Schellack. Er löst die Harzsplitter in etwas Alkohol auf, verteilt die Naturharzlösung dann mit einem Polierballen in kreisenden Bewegungen auf dem Gitarrenkörper. Zwei Tage trocknet die erste Schicht, dann wird die Prozedur wiederholt: zehn-, zwölf-, vierzehnmal. Das Ergebnis kann sich hören lassen. Die hauchdünne Schellackschicht bleibt elastisch, der Klang kristallen und klar. «Lack aus der Spritzpistole tötet die Gitarre», urteilt der Instrumentenbauer, nun auch mal streng, «in Córdoba nimmt kein Musiker, der etwas auf sich hält, ein Kunstlackinstrument zur Hand.»

Privatkonzert für den Meister: Antonio Patrocinio gilt als Nachwuchsstar der spanischen Flamenco Szene und spielt am liebsten auf Josés Gitarren
Privatkonzert im Atelier: Nachwuchsstar Antonio Patrocinio testet eine von Josés Gitarren

In einer Schublade seines Ateliers liegt ein dickes Spiralheft, in das der Meister jedes Instrument, das sein Atelier verlässt, einträgt. Mit einem Foto, mit Notizen zu Bauart, Entstehungsgeschichte, Verkaufsdatum und Besitzer. Natürlich ist er stolz auf sein Lebenswerk, vor allem aber dankbar. Für die Geduld, die ihn sein Beruf gelehrt hat, und für die Erkenntnis, dass der Weg nie zu Ende ist. «Die perfekte Gitarre», sagt José und faltet sorgfältig die blaue Arbeitsschürze zusammen, «das ist immer die nächste.»

Text: Julia Macher | Fotos: Bernd Jonkmanns