Wolfgang Hermann baut sich ein Haus mit 930 Quadratmetern. Bisher hat er über einen Kilometer Elektroleitungen verlegt, ca. 320 Quadratmeter Innenwände gemauert, rund 3,5 Kilometer Dachlattenverarbeitet. Eine beachtliche Leistung, besonders weil Wolfgang blind ist. Im Interview erzählt er, wie das überhaupt geht.

Ja, ich hatte mit sechs Jahren einen mehrfachen Schädelbasisbruch, der nicht richtig diagnostiziert und behandelt wurde. Dadurch blies sich mit der Zeit die Hauptschlagader auf und drückte mir die Sehnerven ab. Im Laufe der Jahre wurde meine Sehkraft immer schlechter: Als ich 17 war, hatte ich eine Sehkraft von weniger als zwei Prozent. Mit Anfang Dreissig war ich komplett blind.

Das kam ja nicht aus dem Nichts. Als ich mit Anfang Dreissig nicht mehr als Metallgiesser arbeiten konnte, machte ich mein Hobby, das Handwerken, zu meiner Berufung.

Ich renovierte ein Haus, das 500 Jahre alt war. Da meinte ein Nachbar zu mir: «Nu reiss doch die alte Bruchbude ab». Ich habe mir gedacht: «Rede nur». Als der Umbau nach acht Jahren fertig war, war aus dieser alten Bruchbude das schönste Haus weit und breit geworden. Ich wusste also, dass ich so etwas kann. Als ich dann ein blindengerechtes Haus für mich wollte, ich mir aber nichts Passendes leisten konnte, war die Lösung klar: Selber bauen.

Ich habe die Grundplanung gemacht, den Grundriss im Massstab 1:10 auf Spanplatten aufgetackert und danach ein Modell im Massstab 1:50 gebaut. Ein Architekt hat mir dann den genauen Eingabe-Plan gezeichnet.

Ja, mit mauern, Leitungen verlegen, verfliesen. Alles, was dazu gehört.

An manchen Stellen hatte ich Unterstützung. Bei den tragenden Wänden, der Betondecke und dem Dachstuhl zum Beispiel. Das Verdrahten hat auch ein Elektriker übernommen. Ich sehe ja die Farben der Drähte nicht.

Wolfgang Herrmann

Tatsächlich höre ich manchmal Sätze wie: «Der kann nicht blind sein, sonst könnte er das doch gar nicht machen. Ein bisschen was muss er doch sehen.» Viele fragen auch: «Wenn man blind ist, darf man da auf dem Dach überhaupt arbeiten?». Also mir ist es ein Rätsel, wie man da runterfallen kann. Ich arbeite auch mit allen Maschinen – Tischkreissäge, Handkreissäge, Kapp- und Gehrungssäge, Trennschleifer – immer unfallfrei. Ich überlege mir eben jeden Arbeitsschritt immer genau im Voraus. Deswegen passiert mir auch nichts. Ich sage immer: In erster Linie bin ich Kopfwerker, in zweiter Linie Handwerker.

Wie bei jedem Blinden läuft so gut wie alles darüber. Ein Blinder braucht immer zwei Hände mehr als ein Sehender: eine zum Fühlen, eine zum Arbeiten, zwei zum Festhalten. Viele denken auch, dass mein Gehör aussergewöhnlich gut ist. Doch dem ist nicht so: Ich höre nicht besser, ich achte einfach nur stärker auf Geräusche.

Das Modell für das Haus, das sich der blinde Wolfgang Hermann selbst baut.

Ich habe mir einen speziellen Bohrtisch gebaut. Mit einem Bohrmaschinenständer – damit ich die Hände frei habe –, einer zwei Meter langen Arbeitsplatte – damit ich auch grosse Bretter bearbeiten kann – und verschiebbarem Längs- und Queranschlag – damit ich die richtigen Abstände einstellen kann.

Eines der Werkzeuge, die ich am häufigsten nutze, ist mein Blindenzollstock. Darauf sind die Masse mit Erhebungen gekennzeichnet. Ich setze oft selbst gebaute Schablonen ein. Zum Beispiel für Schalterdosen. In diesen sind drei Löcher in Reihe und mit den gleichen Abständen zueinander gebohrt. Die muss ich dann nur an die Wand anhalten, Bohrmaschine ran – und fertig. Es bringt mir ja schliesslich nichts, mit dem Bleistift Abstände an der Wand zu markieren.

Ausserdem arbeite ich viel mit Holzklötzen in verschiedenen Längen und Stärken. Die benutze ich wie ein Lineal, um immer die gleichen Abstände einhalten zu können.

Ja, das ist ganz wichtig. Meine Werkzeuge und meine Materialien haben einen festen Platz. Die Hämmer und Zangen liegen zum Beispiel immer in den Fächern meiner Werkbank. Nägel, Schrauben, Schraubzwingen und all so was sortiere ich der Grösse nach, von links nach rechts grösser werdend.

Dass die Sonne im Winter den ganzen Tag in das Haus scheint, weil die Seitenflügel jeweils in einem Erker enden. Im Sommer scheint die Sonne nicht direkt ins Haus, das ist perfekt, damit es nicht zu heiss wird. Die Fenster sind dann immer im Schatten, weil die Dachüberstände entsprechend bemessen sind. Wenn die Sonne hoch steht, kann sie nicht mehr in die Fenster scheinen.

Eine weitere Besonderheit meines Hauses sind die Treppen: Für Blinde sind Treppen immer schwierig, weil man nicht weiss, wann sie kommen. Ich habe die äussere Kellertreppe als gestalterisches Element verwendet und sie ins Haus eingerückt. Das heisst, eine kleine Nische geht ins Gebäude hinein. Wenn ich ums Haus rumgehe, gehe ich immer an der Kellertreppe vorbei. Ich kann nie versehentlich runterfallen, weil die Kellertreppe ca. 1,50 Meter eingerückt ist. Wenn ich da runtergehen will, muss ich entweder rechts herum oder links rum abweichen. Bei der Innentreppe gehe ich an der Wand entlang, bis ich zu einem Mauervorsprung komme, ca. 80 Zentimeter breit. Wenn ich an diesen stosse, gehe ich einen Schritt nach rechts und bin vor der Treppe. Das ist alles extra so geplant.

Sonst stellen Treppen oft eine grosse Stolperfalle für Blinde dar. Doch Hausbauer Wolfgang Hermann baute sein Haus so, dass er nie aus Versehen die Treppe herunterfallen kann.

Ich muss unter anderem noch gut 700 Quadratmeter Holzdecken verbauen. Auch den Garten werde ich mit einem Freund noch auf Vordermann bringen. Und wenn am Ende alles fertig ist, kann ich sagen: «Das hab ich geschafft.» Das ist etwas Greifbares, dafür brauche ich keine Augen.»

Text: Esther Acason | Fotos: © Stefan Hobmaier