Als der Kölner Schauspieler Haydar Zorlu und seine Frau Mücella 2015 anfingen, in Sirinçe im Westen der Türkei ihr Haus zu bauen, gab es auf ihrem Grundstück ein kraterähnliches Loch. Der Vorbesitzer hatte dort mit Baggerarbeiten für einen Brunnen begonnen. Er hatte Wasser vermutet, doch keine Wasserader gefunden. Alles wieder zuschütten wäre ein Riesenaufwand gewesen, dafür war es zu gross. Also schaufelten sie einfach weiter. Zunächst mit dem Plan, einen Parkplatz zu bauen. Irgendwann stellte Haydar, ganz Theatermacher, fest: Die Akustik in dem Loch war grossartig. Und seit er 1991 für eine Doku in der Gegend drehte, war er fasziniert von den antiken Spielstätten im Westen der Türkei. Damals besuchte er das Theatron in Ephesos – die Gegend gilt als Wiege des Theaters. Eine Reise, die bleibenden Eindruck hinterliess.

Der Bagger rollt. Was mal ein Parkplatz werden sollte, wird ein Theater.
Der Bagger rollt. Was mal ein Parkplatz werden sollte, wird ein Theater.

Der Zufall wollte es, dass die Öffnung des halbrunden Lochs in Richtung Meer zeigt. Eine Besonderheit antiker Amphitheater wie in Ephesos, die stets Richtung Küste ausgerichtet sind, da so die Meeresbrise die Stimmen der Schauspieler hoch in die Ränge trägt. Haydar dachte sich: «Zuschauer müssen hören und sehen.» Also entschieden er und seine Frau: Der Parkplatz muss woanders hin. Hier soll stattdessen ein Amphitheater nach antikem Vorbild entstehen. So, wie er es 1991 gesehen hatte. Erfahrungen mit einem Theater im eigenen Haus hatten die beiden in gewisser Hinsicht. Bereits in Istanbul hatten sie in ihrer Wohnung ein Theater mit rund 60 Sitzplätzen eingerichtet und dort regelmässig Aufführungen veranstaltet. Ohne Theater und Schauspiel kann Haydar nicht. Bereits auf dem Stadtgymnasium in Köln-Porz spielte er Theater, ging nach dem Studium der Germanistik auf eine Schauspielschule, unter anderem in New York. Und wenn es etwas zu bauen oder reparieren gibt, dann macht er das auch, wenn irgend möglich, selbst. Und auf seinem Grundstück gibt es immer etwas zu tun.

Für die Planung seines Theatrons nahm Haydar als Vorbild die Masse des Altars der antiken Kirche St. Johannis in Ephesos. Er sammelte Steine in der näheren Umgebung und trug altes Baumaterial zusammen: Marmorreste und Terrakottasteine, die bei Bauarbeiten in der Umgebung abfielen und nicht mehr gebraucht wurden. Die von ihm gesammelten Steine für die Sitzreihen stammen alle aus einem Umkreis von nicht mal drei Kilometern von seinem Theater, vieles hat er aus seinen eigenen Olivenhainen zusammengetragen: «In zehn Kilometern sehen die Steine schon wieder ganz anders aus. In Meeresnähe sind sie heller, kalkhaltiger», erzählt er. Ihm war wichtig, dass die warmen und typisch grünen und bläulichen Farben der Steine aus der Umgebung zur Geltung kommen. Im Juni 2017 kam dann der Bagger, um das Erdloch in der passenden Grösse auszuheben.

Terrakottastücke und Marmorreste aus der Gegend, dazu Beton: die Materialien für das Theater.
Terrakottastücke und Marmorreste aus der Gegend, dazu Beton: die Materialien für das Theater.

Ausser Zement wurde für das Theater selbst kein neuer Baustoff und auch kein Plastik verwendet. Um die Rundungen der Sitzreihen hinzukriegen, orientierte Haydar sich an einem Verfahren, von dem er mal gelesen hatte: «Die Ägypter haben mittig einen Pflock eingeschlagen mit einer Schnur. Dann wurde wie mit einem Zirkel gemessen und so haben wir dann die erste Sitzreihe bestimmt. Vielleicht war das fast primitiv, aber dafür sehr effektiv, was die Akustik angeht», sagt er lachend. Mit jeweils 60 Zentimetern Versatz entstand so die typische gerundete Amphitheater-Tribüne für das Publikum. Elf Sitzreihen. «200 bis 500 Zuschauer kann mein Theater fassen», sagt Haydar. Für die 500 müssten aber einige auf dem Rasen neben den Rängen Platz nehmen.

Material und ein Anfang: Die ersten gemauerten Sitzreihen sind angelegt.
Material und ein Anfang: Die ersten gemauerten Sitzreihen sind angelegt.

Beim Bau hat ein Maurer aus der Region mit angepackt. Mit Startschwierigkeiten: Er hatte die von Haydar eigenhändig festgelegte Linie für die erste Sitzreihe verschoben, sodass kein Halbkreis mehr, sondern ein halbes U entstand. Wegen der Statik. Das wollte aber Haydar nicht. Ein Halbkreis ist besser für die Akustik. Ihr Kompromiss: Die Sitzreihe bleibt ein Halbkreis, das halbe U gibt es aber auch – verschwunden im Hintergrund. Es bildet das Fundament für das Amphitheater. Das hält nun hinten und unten die Erdmasse sicher am Platz. Es verstärkt unsichtbar die Reihen und verhindert ein Abrutschen der Erdmasse.

Um auch abends und im Dunkeln vor das Publikum treten zu können, verlegte Haydar unter den Sitzreihen Röhren und Kabel für die Beleuchtung. Auch ein Toilettenhaus baute er für die Gäste. Im Oktober 2018 stand Haydar das erste Mal vor Publikum, rund 60 Menschen kamen zur Premiere – fertig ist sein Amphitheater aber nach vier Jahren noch nicht: «Das Theater ist wie der Kölner Dom», scherzt der in der Türkei geborene Kölner. Eine Dauerbaustelle. Und sein Herzensprojekt – selbst wenn er zwischendurch auch mal alles hinschmeissen wollte und nicht fassen konnte, was sie sich da eigentlich eingebrockt hatten. Haydar verlor ordentlich Gewicht durch die schwere körperliche Arbeit: «Es war eine harte Zeit, aber wir, meine Frau Mücella und ich, haben immer nach vorne geschaut.» Von der täglichen Arbeit in der Hitze in Kalk und Sand der Steine eingehüllt, fuhr er abends zehn Kilometer zum Meer und wusch dort alles ab. Am nächsten Tag war er wieder voller Tatendrang. Das Ziel verlor er dabei nie aus den Augen: sein Theater.

Es ist ein bisschen wie bei Goethes «Faust», den er schon seit vielen Jahren als Ein-Mann-Stück aufführt und selbst ins Türkische übersetzt hat. Da sagt Faust im ersten Teil: «Was man nicht nützt, ist eine schwere Last. Nur was der Augenblick erschafft, das kann er nützen.» Haydar hat erkannt, was das Erdloch ihm an Möglichkeit bietet und sie genutzt. Für die Zukunft plant er Theaterfestivals und Aufführungen in seinem selbst gebauten Amphitheater im Olivenhain. Der Hain ist ein eigenes Projekt. Im Oktober steht die Olivenernte an. Und Haydar macht eben alles selbst – auch sein Öl.

Wie bei den antiken Vorbildern. Der Blick der Zuschauer geht bis zum Meer.
Wie bei den antiken Vorbildern. Der Blick der Zuschauer geht bis zum Meer.

Text: Catharina König | Fotos: Haydar Zorlu