Der Eiskönig
In Duncan Hamiltons Werkstatt-Reich: Kettensägen, Messer, Meissel. Und ein Gefrierschrank. Der Brite stellt Eisskulpturen her. Seit 40 Jahren.
Duncan Hamilton
Duncan ist lange im Geschäft. Wie jeder, der mit Eis arbeitet, weiss er: Seine Kunst ist nicht für die Ewigkeit. Gerade das macht für ihn den Charme aus. «Die meisten Skulpturen sehen nur sieben Stunden wirklich gut aus. Mich macht das Handwerk glücklich, nicht das Endprodukt», sagt er. Dann streift er seine Isolierhandschuhe über. «In dieser Werkstatt hat noch keiner Frostbeulen bekommen», scherzt er.
Duncan trägt Rollkragenpullover und Seemannsmütze, in seinem freundlichen Gesicht spriesst ein grauer Stoppelbart. Erinnert sehr an Käpt’n Blaubär.
Kühl ist es in seiner Werkstatt, der Boden ist mit Plastikmatten ausgelegt, auf denen Eissplitter schmelzen. Neben der Werkbank brummt ein Gefrierschrank, gross wie ein Schiffscontainer. Duncans Rohstofflager. Darin friert er entkalktes Themsewasser zu Eis.
«Wenn Du mit Eis arbeitest, musst Du kreativ sein und improvisieren können», sagt Duncan und greift nach einem Werkzeug, das eher wie ein mittelalterliches Folterinstrument aussieht. Ein Brett mit einem Griff aus Holz, durch das Dutzende Schrauben gejagt wurden. Dient dazu, einen massiven Eisblock aufzurauen und abzuschleifen. «Eigene Erfindung», sagt Duncan stolz.
«Eis kann Dir in Sekunden zwischen den Fingern zerrinnen. Und es kann Felsen, ja ganze Berge sprengen. Es ist fragil und gleichzeitig mächtig. Das macht es als Material so faszinierend», sagt Duncan. Eisschnitzen als Kunsthandwerk verschwand nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Leute hatten Kühlschränke, niemand brauchte Eisblöcke, um Essen zu kühlen.
Nur in Russland und Japan wurde dieses Kunsthandwerk schon immer gepflegt. Duncan liess sich von alten Meistern ins Eisschnitzen einführen. In der Ukraine lernte er, aus der Kette seiner Säge jeden zweiten Haken zu entfernen, um das Eis präziser schneiden zu können. In Japan entdeckte er die weltbesten Eismeissel: handgefertigt von einem japanischen Meisterschmied. Keine Frage: Der Mr. Miyagi der Eisschnitzer muss heute stolz auf ihn sein.
Duncan hat noch nie daran gedacht, in Rente zu gehen: «Mein Sohn kümmert sich ums Management. Er sagt mir, was ich zu tun habe.» Duncan hat seine Passion vererbt. «Wir verstehen uns super, können viel Zeit miteinander verbringen und das tun, was wir lieben – wir wissen genau, was für ein Glück wir haben.»
Der Eiskönig wärmt sich die Hände an einer Tasse Kaffee und blickt auf seinen Eisbären, dem dicke Tropfen von der Schnauze perlen.
Duncan wird das Wasser sammeln und wiederverwenden – ein bisschen Eisbär lebt also in anderen Skulpturen weiter. Aber hat man ein kaltes Herz, wenn einen das nicht traurig macht?
Duncan schüttelt den Kopf. «Vielleicht steckt darin eine Lehre fürs Leben. Unsere Zeit ist begrenzt. Wir sollen das Hier und Jetzt geniessen. Und am Ende bleibt eine schöne Erinnerung.»
Text: Reinhard Keck | Fotos: Greg Funnell