Klick. Klack-klack-klack. Mit einer kleinen Drehung des Handgelenks fallen die roten, blauen und grünen Glasperlen in der Objektkammer und formieren sich zu einem neuen Bild. Symmetrisch. Gestochen scharf. Und sind bei der kleinsten Bewegung wieder verschwunden.

«Kaleidoskope sind eine sinnliche Erfahrung: Man hört die Glasstücke fallen, sieht die unterschiedlichen Farben und die immer neuen Formen. Man taucht ein in eine bunte Welt mit Eigenleben: Zufall und Chaos verwandeln sich in etwas Geordnetes – immer wieder aufs Neue. Das ist doch faszinierend», sagt Lothar Lempp. Seit 2003 baut er Kaleidoskope, «minimalistische kinetische Licht-Kunstwerke», wie er sie auch nennt und von denen er in den vergangenen Jahren rund 700 Stück hergestellt hat.

«Mein erstes Kaleidoskop war ein selbst gebautes von meinem Vater», erinnert sich Lothar. «Wir waren viel zusammen in der Werkstatt. Er hat mir zwar nicht viel gezeigt oder gezielt beigebracht, aber ich durfte machen. Habe stolz und dickköpfig selbst probiert. So habe ich gelernt, durchzuhalten und in meine Fähigkeiten zu vertrauen. Und: Wenn was schiefgeht, kann man immer noch was lernen.» Das Kaleidoskop von damals hat er leider nicht mehr: «Aber ich weiss noch, dass es sehr gut gearbeitet war. Es hatte nur wenig mit den Kaleidoskopen zu tun, die man im Spielwarenladen bekommt. Vielleicht sind deshalb meine Ansprüche an die Qualität so hoch. Ich weiss, wie gross der Unterschied ist. Wie wichtig hochwertige Materialien und eine gute Verarbeitung sind.» Als Lothar dann Anfang der 2000er in einem Physikbuch für Kinder die Anleitung für ein 3-D-Kaleidoskop entdeckt, ist seine Leidenschaft wiedererweckt.

Aufbau eines klassischen Kaleidoskops

Lothar Lempp

Neben den klassischen Hand-Kaleidoskopen mit Papp- oder Metallgehäuse arbeitet Lothar auch immer schon an aussergewöhnlichen Varianten: «Wenn man einmal damit anfängt und das Funktionsprinzip verstanden hat, entdeckt man schnell die Möglichkeiten.» So gibt es in Lothars Sammlung inzwischen Kurbelkaleidoskope, 3-D-Kaleidoskope oder Teleidoskope, in denen sich die Umwelt reflektiert. Aktuell arbeitet er an einem Strömungskaleidoskop: Über eine Spritze und einen Schlauch kann man einen Wasserstoss-Impuls auslösen, der Silberpartikel in einer Flüssigkeit in Bewegung setzt, die sich immer wieder neu formieren.

«Ich stelle eigentlich alles selbst her. Auch die Glasstückchen für die Objektkammer. Sie ergeben ein abwechslungsreicheres Bild und klingen beim Fallen auch schöner als Plastik.» Die Werkzeuge, die er benötigt, hat er für seine Zwecke modifiziert oder selbst gebaut. Sein Kantenschleifer zum Beispiel basiert auf einer alten Saftzentrifuge, bei seinem Spiegelschneider hat er den Griff ergonomisch seiner Hand angepasst, um ihn noch präziser führen zu können: «Ich arbeite ausschliesslich mit Oberflächenspiegeln – sie reflektieren schärfer. Sie müssen ganz exakt zugeschnitten und im richtigen Winkel verklebt sein, dann ist der Spiegelspalt kaum sichtbar und das Bild am besten.»

«Ein geschlossenes symmetrisches Bild entsteht nur, wenn man die 360 Grad durch eine gerade Zahl teilt», erklärt Lothar. «Je kleiner der Winkel ist, umso mehr Spiegelungen bekommt man. Bei 90 Grad sind es zum Beispiel vier, bei 45 Grad sind es 8.» Je nachdem mit wie vielen Spiegeln Lothar im Innern arbeitet, ändert sich die Wirkung: Sind zwei Spiegel im Einsatz, erinnern die Bilder an kreisförmige Mandalas. Sind es drei, ergibt sich ein weitläufiger Musterteppich. Zusätzlich kann er die Spiegelform und ihren Neigungswinkel variieren. Bei gekippten trapezförmigen Spiegeln entsteht zum Beispiel ein 3-D-Effekt.

Zwei Spiegel im 90° Winkel verklebt ergeben 4 Bilder; im 45° Winkel verklebt 8 Bilder im Kaleidoskop
Zwei Spiegel im 90° Winkel verklebt ergeben 4 Bilder im Kaleidoskop. Bei einem 45° Winkel sind es 8 Bilder.

«Der Blick in ein Kaleidoskop ist eigentlich ein privates Erlebnis. Will man es teilen, geht das nur über sehr vorsichtiges Rüberreichen. Das macht einerseits den Charme aus. Mich fasziniert aber auch der Gedanke, es zum gemeinsamen Erlebnis zu machen. Schon im 19. Jahrhundert, als der schottische Physiker David Brewster das Patent für das Kaleidoskop angemeldet hatte, gab es in London Kaleidoskope auf Stativen, die Passanten für ein paar Pennys benutzen konnten», erzählt Lothar. So kam er auf die Idee für seine mobile Kaleidoskop-Ausstellung: 2017 – zum 200. Jubiläum des Kaleidoskops – hat er einen Wagen gebaut, auf dem er bis zu zwölf der grossen Kaleidoskope anbringen kann und mit dem er seitdem auf Weihnachtsmärkten, Stadtfesten oder auf Steampunk-Events unterwegs ist. Er hat ihn im viktorianischen Stil gestaltet, als wäre er also grob aus der Zeit, als das Kaleidoskop seine erste Hochphase hatte: «Wie damals kommen die unterschiedlichsten Menschen zu meinem Wagen, kurbeln und drehen, machen grosse Augen und zeigen einander, was sie gerade gesehen haben. Besonders schön ist es, wenn Jugendliche – und das gab es vermutlich im 19. Jahrhundert noch nicht – mit offenem Mund dastehen und nur noch ein ´Alter` rausbringen.»

Die nächste Stufe auf dem Weg zum Gemeinschaftserlebnis: Lothar arbeitet gerade an einem Kaleidoskop-Projektor, mit dem man die bunten Bilder auch auf eine Fläche – zum Beispiel eine Leinwand oder eine Hausfassade – werfen kann. Kaleidoskop-Public-Viewing quasi.

«Vor einiger Zeit,» erinnert er sich, «hat eine Dame bei mir ein Kaleidoskop für einen Freund gekauft, der von sich sagte, sein Leben sei zersplittert. Sie schenkte ihm das Kaleidoskop, um ihm zu sagen: «Schau, das ist auch zersplittert. Aber trotzdem schön.» Was mir an dieser Geschichte gefällt: Sie zeigt, dass jeder in einem Kaleidoskop entdecken kann, was er entdecken möchte. Sobald es mein Atelier verlässt, liegt es sprichwörtlich nicht mehr in meiner Hand, welche Bilder darin entstehen. Es entfaltet auch ohne mein Zutun seine unendlichen Möglichkeiten.»

Der Künstler und Kaleidoskop Bauer Lothar Lempp aus Bad Mergentheim im Portrait mit seinen Theaterfiguren

Text: Barbara Pfeil | Fotos: Lothar Lempp