Alain Maury: 2014 habe ich auf eBay einen speziellen Spiegel gekauft: 1,15 Meter im Durchmesser, 17 Zentimeter dick und 120 Kilo schwer. Das Besondere an dem Spiegel: Hergestellt in den 70er Jahren gehörte er zu einem unbenutzten Spionagesatelliten der US Air Force, Modell Gambit 7. Aus diesen Satelliten ist später das Hubble-Weltraumteleskop entwickelt worden, mit dem die Grösse von Galaxien gemessen, Schwarze Löcher entdeckt und Sternexplosionen verfolgt werden können. 45.000 Dollar habe ich für den Spiegel auf den Tisch legen müssen, plus die Kosten für Transport, Zoll und Steuern. Aber fast schon ein Schnäppchen für so einen grossen Spiegel.

Die Sterne begleiten mich schon fast mein ganzes Leben. Mit acht Jahren schaute ich das erste Mal in ein Teleskop und sah den Jupiter – braun und blau und weiss und unglaublich nah. Einfach wow! Jahre später, im Sommer 1973 – es war der letzte Schultag – kam es zu einer grossen Sonnenfinsternis. Mit dem Schweisserhelm meines Vaters stand ich da und blickte Richtung Himmel. Danach habe ich mir mein erstes Teleskop gekauft, die Sternenkarten in der Enzyklopädie «Tout l’Univers» gewälzt und öfter mal die Schule verschlafen, weil ich um drei Uhr in der Nacht irgendwelchen Kometen hinterhergeschaut habe. Als Fotografie-Student bin ich dann über ein Praktikum an meinen ersten Job am Observatoire de la Côte d’Azur gekommen. Später habe ich dann als Fotowissenschaftler am Palomar Observatory in Kalifornien und als Ingenieur und wissenschaftlicher Mitarbeiter für die Europäische Südsternwarte in Chile gearbeitet.

Alain Maury neben einer Wetterkuppel mit Roboter Teleskop, das er für Kunden beaufsichtigt
Alain Maury macht sein eigenes Ding. 2400 Meter über dem Meeresspiegel

Bitte nicht falsch verstehen: Die Kollegen in den grossen Observatorien machen eine fantastische Arbeit. Aber sie haben einfach keine Zeit für ihre eigene Forschung, müssen den ganzen Tag Anträge ausfüllen, Berichte schreiben oder an irgendwelchen Meetings teilnehmen. Dazu noch dieser Schichtdienst – eine Woche eingepfercht in einer Station hoch oben auf den Bergen. Für Freigeister wie mich ist das nichts. Ich möchte lieber mein eigenes Ding machen und alles selbst: Optik, Mechanik, Elektronik, Programmierung…

Alain Maury

Bei Amateurastronomen ist es fast schon Tradition, sein eigenes Teleskop zu bauen. Als ich mit 17 Jahren damit anfing, gab es natürlich noch nicht so viele Bücher und die vielen gut zugänglichen Informationen aus dem Internet. Das Grundprinzip ist immer gleich: Ein grosser Hauptspiegel am Ende der Röhre wirft das einfallende Licht zurück auf einen Fangspiegel. Der wiederum lenkt den Lichtstrahl in das Okular. Und nach mehr als zwanzig selbst gebauten Modellen kenne ich so ziemlich jede Tücke.

Bis zu einer gewissen Grössenordnung komme ich gut zurecht. Die Baupläne erstelle ich mit einer 3D-Software, die Bauteile bestelle ich bei einer Giesserei. Die Röhren, die Rahmen und Gelenke der Teleskope schraube und schweisse ich zusammen, auch die Anschlüsse von Kameras, Spektrografen und Elektronik. Die weissen Kuppeln, die manche Instrumente vor dem Wetter schützen, stelle ich ebenfalls selbst her, mit riesigen Gussformen und Fiberglas. Aber bei dem Riesenteleskop brauche ich Unterstützung: Der fünf Meter lange Metallrahmen ist selbst für meine 100-Quadratmeter-Werkstatt eine Nummer zu gross. Und meine Maschinen und Werkzeuge sind für Teile dieser Grössenordnung nicht gemacht.

Den Metallrahmen besorgt mir ein Bekannter in Santiago. Als Ingenieur des Paranal-Observatoriums in der Atacama hat er gute Kontakte zu Unternehmen, die ansonsten Bauteile für Bergbaumaschinen produzieren. Das riesige Kugellager, auf dem das Teleskop rotiert, habe ich in China gekauft, es hat mehr gekostet als manches Amateurmodell. Einen passenden Achsmotor bekomme ich über einen Freund aus Frankreich – so ein drei Tonnen schweres Teleskop auf der Suche nach Sternen präzise zu bewegen, ohne Vibration, ist trotzdem eine echte Herausforderung.

Jedes Jahr kommen mehr und mehr Touristen, denen ich die Magellanschen Wolken mit ihren 20 Milliarden Himmelskörpern, den Saturn mit seinen Ringen oder das Tal des Mondes zeigen kann, in dem 1969 Apollo 11 landete. Ohne die vielen Touren und die fernsteuerbaren Roboter-Teleskope hier auf der Farm, die ich für Kunden aus Russland, Deutschland, Belgien, den USA und Polen betreue und repariere, könnte ich mir so ein Projekt niemals leisten. Am Ende werde ich aber mit 150.000 Euro nur ein Zehntel dessen bezahlt haben, was ein professionelles Teleskop dieser Grösse kostet.

In der Astronomie hat auch die Zusammenarbeit zwischen Amateuren und Profis eine Tradition: Amateure können zwar nicht nach weit entfernten Universen entdecken, sie können aber Exo-Planeten beobachten, Asteroiden verfolgen und veränderliche Sterne im Auge behalten, deren Helligkeit schwankt. An den grossen Observatorien, an denen man als Forscher mit viel Glück ein paar Nächte pro Jahr bewilligt bekommt, ist das nicht möglich. Vor ein paar Jahren haben ein paar Kollegen und ich sogar einen Kometen für die NASA beobachtet, der dem Mars sehr nahe kommen sollte. Über drei Monate haben wir mehr als 400 Messungen durchgeführt, die sicherstellten, dass es keine Kollision zwischen dem Kometen und den NASA-Raumschiffen rund um den Mars gibt. Und im Jahr 2011 konnten wir sehr genau den Durchmesser des Asteroiden Eris bestimmen, von dem einige Fachleute glaubten, dass er grösser als Pluto ist. Unterm Strich arbeiten wir also gut zusammen.

Alain Maury steht in der Sonne vor seinen Teleskopen in der Atamaca Wüste in Chile und blickt in die Ferne
Langeweile in der Wüste? Niemals. Dafür gibt es zu viel zu entdecken

Genau aus diesem Grund. Fast nirgendwo auf diesem Planeten ist die Luft so trocken, so klar, so sauber wie am Fuss der Anden. Dass Wolken den Blick auf die Sterne versperren, ist selten. Im Jahr 2013 hatten wir 345 klare Nächte im Jahr. Vor allem aber gibt es so gut wie keine Lichtverschmutzung durch Laternen, Leuchtreklamen und Autoscheinwerfer, die das Firmament überstrahlen. Für Astronomen gibt es kaum einen besseren Ort.

Meine Kinder, die in Frankreich leben, sind weit weg, das stimmt. Aber wir besuchen uns zweimal im Jahr. Und ich habe ja meine Frau hier bei mir.

Abwarten. Im Sommer setzen wir es in Santiago zusammen, transportieren es hier in die Wüste und bringen es zum Laufen. Dann werde ich das Teleskop wohl für meine Touren nutzen – und ansonsten auf Automatik stellen. Es gibt noch so viel zu entdecken da draussen! Ausserdem hab ich noch einen noch grösseren Spiegel: Anderthalb Meter im Durchmesser, 800 Kilogramm schwer. Aber das ist ein Projekt für meinen Ruhestand…

Text: Laslo Seyda | Fotos: Niklas Marc Heinecke