Die Welt in den Händen
Ende der 80er-Jahre machte der letzte britische Globusmacher dicht. Der Ersatz: Plastikgloben vom Fliessband. Keine Lösung für James. Er wollte Globusbauer werden – und brachte sich das Handwerk selbst bei.
Sieben Kunstwerke sind immerhin fertig. Sie sollen im Cargo-Flugzeug von London nach Shanghai jetten. Zu Mister Yi Ping, Einkäufer beim Science and Technology Museum. Der hat bei James die Ware bestellt.
Jetzt heisst’s anpacken: James schaut etwas nervös, als seine Mitarbeiter Nigel (Ex-Wächter in einer Haftanstalt) und Robert (Ex-Kunstlehrer an einer Sonderschule) den ersten Globus durch den Raum und in eine Holzkiste hinein wuchten. Das Kunstwerk hat die Grösse eines Gummisitzballs und wiegt so viel wie vier Medizinbälle: mindestens 40 Kilo. Sieben Monate haben James und seine Helfer daran gewerkelt, alles feinste Handarbeit.
Es ist der Nachbau des legendären Globus des Vincenzo Maria Coronelli, im 17. Jahrhundert erstmals für den französischen Sonnenkönig Ludwig XIV. gefertigt. James’ Kopie ist in eine Art Holztisch mit goldfarbenem Messingkompass gespannt. Der Globus mit seinem übergrossen Europa und filigranen Ornamenten wirkt in der vollgerümpelten Umgebung umso majestätischer und geheimnisvoller. Wie ein magisches Artefakt aus einem «Indiana Jones»-Film.
James’ Gehilfe Dean (Ex-Koch und Hobby-Techno-DJ) zeigt den ersten Arbeitsschritt: Er bepinselt zwei Halbkugelformen aus Metall mit Öl, legt sie dann mit einem Netz aus und trägt ein Gipsgemisch auf. Zwei Wochen härten die beiden Hälften der späteren Weltkugel aus, stabilisiert durch das Netz. Dann werden die Schalen mit Luftdruck aus der Form gepustet und mit Sandpapier glatt geschliffen.
Eine Etage höher druckt Naomi (Ex-Textilkunststudentin, Mutter von drei Kindern) am Computer das Faksimile aus, klebt es mit Leim auf, was viel Fingerspitzengefühl erfordert. Anschliessend wird die Kugel von Hand koloriert – eine Millimeterarbeit. Schriften, Grenzen, Symbole, Ornamente werden mit Farbe gefüllt. Viele historische Karten sind im Internet frei verfügbar. Doch das sind kalte Daten, erst durch den Pinselstrich wird Kunst draus.
James Bissell-Thomas
«Das Schöne und Schwierige beim Globusmachen ist, dass es so viele Handwerke und Künste verbindet», sagt James. «Gipser, Schreiner, Kartograf, Metallbauer, Illustrator, Drucker – jeder leistet seinen Beitrag, keiner ist verzichtbar.» Das beweist auch James’ Meisterwerk, eine Kopie des «Behaim-Erdapfels».
Der Nürnberger Ritter und Entdecker Martin Behaim schuf um 1492 einen Globus der mittelalterlichen Welt. Die Kugel ist in ein gusseisernes Gestell eingefasst, das originalgetreu von James nachgeschweisst wurde. Die Chefs des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg, wo der Original-Behaim ausgestellt ist, waren von den Kopierversuchen zunächst wenig begeistert. Doch als ihnen James seinen Globus präsentierte, waren sie entzückt. Sein Globus war so gut, dass sie auf einen eigenen Nachbau verzichteten und einfach seine Arbeit vermarkteten. Damit war James’ Ruf als weltbester Globusmacher zementiert, oder besser: in Gips gegossen.
Es ist fast zwei Uhr. James ist Recycling-Fan, er will alles verwerten. Die Transportkiste für die Globen besteht aus Sperrholztrennwänden aus der Kleingartensiedlung, als Polsterung dienen Matratzen vom Sperrmüll. Schnell noch einen Stoss Insektenspray in die Kiste zischen. Deckel drauf, Klappe zu, Wanze tot.
Punkt zwei Uhr. Es passiert – nichts. James blickt die Strasse hinauf, blickt auf die Uhr. Er kratzt sich am Kopf. «Verdammt», nuschelt er in den Kragen seines speckigen Overalls. Robert blickt fragend, Nigel beisst sich auf die Zunge. Der Lieferdienst hat die Abholung auf morgen verschoben.
James könnte nun die Post anrufen und verfluchen – manchmal findet der Fahrer nicht den Weg auf die Insel. Aber auch dafür ist kaum Zeit. Lieber arbeiten sie in der Globuswerkstatt an den nächsten Kugeln. Gerade kam wieder eine Bestellung rein: Die nächsten Globen sollen nach Oslo und New York.
Text: Reinhard Keck | Fotos: Bernd Jonkmanns