Die Zypressenschlösser
Rob Heard baut in seiner Freizeit aus Zypressenholz Schlösser wie aus einer anderen Welt . Die Fantasiebauten sind bis zu zwei Meter gross, haben Türme, Treppen, Giebel, Säulen, Fenster und Geländer. Alles aus Tausenden von einzelnen Holzstücken zusammengesetzt.
Rob Heard, 55, aus der Grafschaft Somerset im Süden Englands – ergraute Matte, tätowierte Arme, sanfter Blick – ist Künstler und Schreiner, ein Naturbursche und, ja, auch ein Herr über viele Schlösser.
«Willkommen in meinem Reich», sagt er und deutet auf das Anwesen, das auch in ein Hobbitdorf passen würde: Das Haus, von Büschen umwuchert, hat er selbst gebaut. Die Wände, die Türen, die Böden, das Dach und die Terrasse – alles aus Holz. Okay, nicht an jede Kante sollte man eine Wasserwaage legen.
Er läuft zu seiner Werkstatt, einer schmalen Hütte, die versteckt zwischen Sträuchern liegt. Die Werkbank ist klein und abgewetzt, Schleifmaschine und Holzzwingen sind eingeschneit mit Sägespänen. Hier baut Rob Heard die Meisterwerke, die ihn bekannt gemacht machen: Bough Houses, auf deutsch Zweighäuser. Fantastische und verrückte Holzschlösser, inspiriert von Neuschwanstein, Disneypark und Rapunzels Verlies.
Gerade arbeitet Rob an einem neuen Modell. Vor allem die Masse beeindrucken: die Schlösser sind mitunter mehr als anderthalb Meter hoch und breit. Und sie bestehen aus tausenden Details: Treppen, Giebel, Türme, Fenster, Säulen und Geländer sind aus kleinen Holzstücken geschreinert. Wieviele es genau sind? Hat Rob nie gezählt. Im matten Licht des staubgepuderten Fensters, verströmen die detailverliebten Kunstwerke eine magische Aura. Ja, sie wirken nicht ganz von dieser Welt.
«Das erste Schloss habe ich vor 20 Jahren für meine Töchter gebaut. Sie wollten ein Puppenhaus und ich wollte ihnen ein Unikat schenken», erzählt Rob. Das Projekt lief etwas aus dem Ruder. 500 Stunden lang arbeitete Rob wie besessen am ersten Modell. Die glücklichen Augen seiner ältesten Tochter Lily waren jede Stunde wert. Und weil auch Rose und Daisy eine Heimat für ihre Puppen wollten, baute Rob gleich die nächsten Schlösser. «Sie sind dann noch etwas imposanter geworden», lächelt er. Die Häuser waren so überdimensional, dass sie kaum durch die Haustüre passten.
«So arbeite ich immer», sagt Rob, «ich leg einfach los, ohne Skizze oder Plan, und schaue, was am Ende dabei herauskommt.» Machen statt Grübeln, ist sein Motto. Manchmal geht das schief. Meistens entsteht dabei Einzigartiges.
Schon als Kind baute Rob sich sein eigenes Holzspielzeug. Später arbeitete er als Zimmermann und Schreiner. Er baute riesige Piratenschiffe aus Holz für Spielplätze. Oder luxuriöse Hundehütten und Bungalows in die Gärten der Londoner Upper-Class. Dann erlitt Rob einen schweren Autounfall, brach sich das rechte Handgelenk. Es folgten Operationen, sechs Monate Reha und Physiotherapie. Doch ganz heil, wurde die Hand nicht mehr.
Rob zeigt seine Hand, rollt die Finger ein. «Bis heute habe ich Schwierigkeiten fest zu greifen», sagt er. Fast wäre er berufsunfähig geworden. Die ganz grossen Projekte, die Häuser und Abenteuerspielplätze, das konnte und wollte er nicht mehr bauen. «Ich musste mich auf die Arbeit mit kleinen Holzteilen beschränken», sagt Rob.
Das Material für die Bough Houses
Der Bau eines «Bough House» beginnt mit der Auswahl der Hölzer. Rob greift neben der Werkstatt aus einem Stapel Holz einen Ast, ein Überbleibsel einer Leyland-Zypresse. Die wird gern in die Gärten englischer Reihenhäuser gepflanzt. Sie wächst schnell, ihre Krone dient als Sichtschutz. Doch sie nimmt viel Licht. Daher kommt es oft zu Klagen und Nachbarschaftsstreit. Der endet meist so, dass Rob mit der Motorsäge anrückt. Das Holz der Leyland-Zypresse ist nutzlos. Es taugt nicht mal als Brennholz. Doch für Rob ist es das beste Baumaterial.
Ist das Holz beschafft, wird es ordentlich abgeschliffen. Feinster Staub wirbelt durch die Luft, während Rob mit dem Schleifer über die Rinde fährt. Sperrige Stücke werden in Form gesägt. Alles kein Problem. Schwierig wird es, wenn Äste gebogen werden müssen, damit sie als Säulen oder Türme taugen, an denen etwa Wendeltreppen entlang führen. Die Lösung stellte Rob vor Herausforderungen. Und ist nicht ganz einfach. Funktioniert inzwischen aber fast immer.
Rob zündet ein Lagerfeuer an. Darin stellt er einen Metallkessel mit Wasser und wartet bis die Flammen das Wasser zum Kochen bringen. Dann stellt er ein abgesägtes Abwasserrohr in das brodelnde Wasser. Er steckt den zu biegenden Ast durch das Rohr. Und wartet wieder. Wasserdampf steigt durch das Rohr gen Himmel. Der Wasserdampf kocht langsam das im Rohr stehende Holz weich. Rob zieht mit der Zange den Ast aus dem Dampfbad, biegt das weichgekochte Holz in Form und spannt es in Klemmen. Lässt es trocknen. Fertig.
Rob brauchte einige Anläufe bis er den Dreh raus hatte. «Ich hatte mir auch ein paar mal die Finger verbrannt», sagt er und deutet auf Feuerstelle und Kessel neben seiner Werkstatt. Typisch für die «Methode Rob»: Kein Plan. Einfach machen.
Die Feinarbeit
Nach dem Biegen ist Fleissarbeit gefragt. «Ich habe diese Unnachgiebigkeit in mir», sagt Rob. Er setzt sich an die Schleifmaschine, schleift dutzende Dachziegel von der Grösse eines Fingernagels. Später wird er sie mit Leim an das Dach des Turmzimmers kleben. Danach schleift er Fensterrahmen von der Grösse eines Streichholzes. Nagelt mit sanften Schlägen das Treppengeländer, das so filigran wirkt wie ein Mikadostäbchen.
Schnitzen, schleifen, kleben, nageln. So geht das den ganzen Tag. Es hat etwas Magisches, Manisches, Meisterhaftes wie er da sitzt und mit seinen Händen aus delikaten Holzstückchen ein Traumschloss kreiert. Und sich darin verliert.
Inzwischen verdient Rob mit dem Schlösserbau sein Geld. Er sieht sich als Künstler, die Schlösser sind seine Skulpturen, die mehrere hundert Euro kosten und online bestellt werden können. Etwa zwei Wochen braucht er bis zur Fertigstellung. Er verkauft sie an Designer, die damit Schaufenster dekorieren. Oder an Eltern, die ihren Kindern das bezauberndste Puppenhaus der Welt schenken wollen. Eine Kundin ist eine amerikanische Fantasy-Autorin, die an Weihnachten das Schloss wie einen Christbaum schmückt.
Rob macht eine Pause und setzt sich auf die Terrasse neben dem Haus. Er blickt auf die grünen Hügel von Somerset. Vögel zwitschern. Bienen summen. Was für eine Idylle. Seine Töchter Daisy und Rose sind inzwischen Teenager, Lily studiert und ist kürzlich ausgezogen. «Ich war schon immer der grösste Kindskopf der Familie» sagt Rob und blickt auf das erste Holzschloss, das er einst für sie gemacht hat. Es steht im Gemüsegarten. Die anderen beiden stehen im Wohnzimmer und haben ein wenig Staub gefangen. Und wenn sie nicht vom Holzwurm gefressen wurden, dann stehen sie da noch ewig.
Text: Reinhard Keck | Fotos: Greg Funnell
Aktion «19.240 Soldaten», 2016
100 Jahre nach der Schlacht an der Somme im Ersten Weltkrieg, erinnerte Rob mit einer Kunstaktion an die 19240 Soldaten, die allein am ersten Kampftag ums Leben kamen. Dafür schnitzte er 19240 rund 30 Zentimeter grosse Holzfiguren, die er anschliessend in ein Leinentuch hüllte. Es dauerte fast fünf Jahre, bis er fertig war.Die Figuren wurden auf 4000 Quadratmetern in einem Park neben dem Olympiastadion in London ausgelegt. Die Ausstellung machte weltweit Schlagzeilen. Prominenteste Besucherin, die er durch die Ausstellung führte: Prinzessin Ann, die Schwester der Queen. 2020 bekam er die Nachricht, dass Königin Elisabeth II. Robert James Heard, den Holzkünstler, zum MBE ernennen möchte, zu einem «Member of the Order of the British Empire».
Mehr Infos zu Robs Schlössern gibt es hier.