Kitesurfen? Noch nie gemacht. Dabei habe ich viele Jahre in Kiel gelebt, die Ostsee hatte ich quasi vor der Haustür. Das wurmt mich – inzwischen in Hamburg – immer noch. Aber warum eigentlich? Ich kann mir doch einen Einsteigerkurs zum Kitesurfen suchen, oder? Meine Recherche im Internet führt mich noch weiter: Ich kann sogar mein eigenes Kiteboard bauen, abgestimmt auf mein «Fahrer-Profil».

Jannek Grocholl

So steht es zumindest auf der Website von Board Lab, dem Kieler Anbieter eines Kiteboard-Bau-Workshops. Was heisst denn «Fahrer-Profil»? «Du baust Dein Board, abgestimmt auf Dein Gewicht, Deine Grösse und auf Deinen Fahrstil», erklärt Jannek Grocholl, einer der beiden Workshop-Leiter von Board Lab, am Telefon. Fahrstil? Ich bin noch nie gekitet! «Alles kein Problem, wir helfen Dir Schritt für Schritt dabei, ein Kiteboard zu bauen, und erklären Dir, wie die Bauweise den Fahrstil beeinflusst.» Das klingt gut. Also baue ich mir dann ein Anfänger-Kiteboard? «Dazu würde ich Dir nicht raten. Das Anfänger-Board benutzt Du nur ein paar Wochen. Bau lieber ein Allround-Brett, das Du nach Deinem Einsteiger-Fahrkurs länger nutzen kannst. Das Allround-Board ist vielseitig einsetzbar: bei wenig bis viel Wind, bei Flachwasser und Welle, also besser als das Einsteiger-Board.» Okay, dann machen wir das so. Jannek weiss schliesslich, wovon er spricht. Der gelernte Bootsbauer fertigt seit rund sieben Jahren seine eigenen Kiteboards und kann mir bestimmt gute Tipps geben. Der Workshop ist gebucht!

Rund sechs Wochen später, Samstagmorgen, neun Uhr. Mein Workshop-Wochenende in der Kieler Werkstatt beginnt. Ich bin müde und etwas hibbelig zugleich. Da die Kurse schnell ausgebucht sind, musste ich einige Wochen darauf warten. «Nimm erst mal ’nen Kaffee», sagt Jannek und drückt mir und den anderen Workshop-Teilnehmern eine grosse Tasse in die Hand. «Ich erkläre Euch in Ruhe die ersten Schritte, und dann arbeiten wir uns zusammen vorwärts in der Sandwichbauweise.» Sandwichbauweise, das sagt mir was: Die Boards werden handlaminiert und später mit Vakuum verpresst. Alle anderen Fachbegriffe, die jetzt durch den Raum fliegen, sind mir aber fremd. Ich werde noch nervöser, als ich merke, dass ich die Einzige bin, die (noch) keine Kitesurferin ist. Na, denn man tau.

Ich schnappe mir den von Jannek vorbereiteten Holzkern aus Paulownia, einem sehr leichten Holz mit besonders langen Holzfasern, das dem Board eine gute Festigkeit gibt. Den lege ich auf die passgenaue Schablone aus MDF und hole mir zwei lange ABS-Leisten. Blaue natürlich, in meiner Lieblingsfarbe. Diese dünnen Spaghettis aus Thermoplast verbaue ich gleich zu sogenannten ABS-Kanten: Sie bilden den Kantenabschluss und schützen das Brett später vor Beschädigung und eindringendem Wasser. Los geht’s! Ich lege die beiden Kanten an die Seiten, fixiere sie mit Tape an Holzkern und Schablone und erwärme das ABS an den Rundungen des Boards mit einem Heissluftföhn. Hin- und herwedeln, von oben und unten, bis sich die Spaghettis verformen lassen. Dann muss es schnell gehen: an die Rundungen anlegen, fest andrücken – und sich dabei gleich mal die Finger verbrennen. Der Thermoplast ist höllisch heiss! Die ABS-Kanten, die zu lang sind, schneide ich mit einer Japansäge zu, dann wird verklebt. Das geht am besten zu zweit. Ich trage den Klebstoff mit einer Pistole auf, Jannek legt die ABS-Kanten schnell an, dann fixieren wir sie mit Tape am Board.

Nachdem alles getrocknet ist, kommen die Tapes wieder ab. Ich entferne überstehende Reste vom Kleber und glätte die Kanten mit Schleifpapier. Dann fräse ich die Löcher für die Inserts aus, die Gewindeanker im Board, in die später Pads und Straps verschraubt werden. Damit sichert man später seine Füsse am Board. Ganz schön viel Kleinarbeit, denke ich noch. Dabei stehen wir gerade erst am Anfang.

Jannek Grocholl

Autorin Esther Acason drückt die ABS Kante fest an die Seite des Holzkerns des Kiteboards, das sie beim Kiteboard Workshop baut

Weiter geht’s mit dem Schleifen, aber eine Nummer grösser: Ich greife zum Exzenterschleifer und bearbeite beide Oberflächen des Boards. Ich führe den Schleifer gleichmässig und im «Kreuzgang» – also erst quer, dann längs – über die beiden Seiten des Kiteboards. An einer Stelle drücke ich zu fest zu, das Holz wird leicht uneben, doch zum Glück bemerke ich meinen Fehler noch rechtzeitig und kann ihn ausmerzen, ohne zu viel Holz abzuschleifen. Puh, ein Glück! Mit einem krummen Brett wäre schlecht kiten gewesen. Oder gar nicht. Tief durchatmen und weitermachen. Ich reinige beide Oberflächen mit einem Staubsauger, entferne so den feinen Holzstaub und beginne endlich damit, mein Board mit einem eigenen Design zu versehen.

Wie genau mein Kiteboard aussehen sollte, hatte ich rund zwei Wochen vorher mit Jannek am Telefon besprochen. Es soll an beiden Enden, auf Vorder- und Rückseite, bläulich reinlaufen, von stark nach schwach, je weiter man sich der Mitte des Boards nähert. Und einen Schriftzug wollte ich auf die andere Seite malen. Während des Workshops gehe ich genau so vor: Ich schnappe mir eine Sprühlackdose in Hellblau, sprühe eine Schicht aus Glasfaser – eine dünne, fast durchsichtige Materialschicht – von links nach rechts und wieder zurück ein, stoppe dabei nicht, sondern sprühe in einem Zug weiter nach oben. Je weiter ich komme, desto mehr hebe ich die Dose an, damit die Farbe heller wird. Es klappt! Zwar nicht perfekt – Jannek weist mich auf kleine Unebenheiten hin –, doch spätestens bei der zweiten Seite fühle ich mich wie ein echter Profi. Die Glasfasern werden zum Trocknen beiseitegelegt, jetzt kümmere ich mich um das Holz. Von meinem Schriftzug, den ich für die Rückseite meines Boards vorgesehen hatte, bin ich nicht mehr ganz so überzeugt, seitdem ich die Designs der anderen Workshop-Teilnehmer gesehen habe. Besonders von Michaels Design, zwei Schildkröten, die es sich rechts und links auf dem Board gemütlich gemacht haben, bin ich begeistert. Und Michael? War mehr als gut vorbereitet und hat noch eine Gecko-Schablone für mich über. Danke! Geckos fand ich schon immer cool! Ich klebe die Schablone aufs Board und tupfe die Form mit einem Schwamm in knalligem Orange auf das Holz. Und wieder heisst es: trocknen!

Esther Acason

Beste Gelegenheit, das Epoxidharz mit einem Härter zu vermischen. Aber vorsichtig: «Zieh Dir am besten Handschuhe und eine Jacke mit langen Ärmeln an. Das Epoxidharz kann Allergien auf der Haut auslösen», ermahnt mich Jannek. «Oha, worauf hab ich mich hier bloss eingelassen», denke ich kurz. Doch meine Bedenken verfliegen, je länger ich meditativ rühre, rühre und immer weiter rühre, bis auch wirklich die letzte Luftblase weg ist. Geschafft! Ist die blaue Farbe auf der Glasfaser trocken? Ist sie! Der Gecko? Auch. Schablone vorsichtig abziehen, tief durchatmen: Jetzt geht’s ans Eingemachte!

Autorin Esther Acason tupft die Form eines Geckos mithilfe einer Schablone auf den Holzkern ihres selbst gebauten Kiteboards

Es wird ernst: Ich beginne damit, die einzelnen Schichten des Boards Schritt für Schritt aufeinanderzubauen. Die Basis dafür bildet die sogenannte Negativ-Form: eine gebogene Holzform, die ich mithilfe von Schrauben in der darunterliegenden Metallschiene festziehe, bis die gewünschte Biegung erreicht ist. Die Biegung nennt man auch Rocker. Sie bestimmt wichtige Fahreigenschaften, wie zum Beispiel die Wendigkeit und das Höhelaufen des Boards. Zusätzlich bekommt das Board quer zur Fahrtrichtung eine Konkave, die Bodenkurve. Das strömende Wasser wird so kanalisiert und gibt dem Board zusätzlich Auftrieb und Druck. Jannek schaut drüber: sitzt und passt!

Ich schnappe mir meinen Becher mit Epoxidharz, dazu einen Farbroller, und trage das Harz auf beide Seiten des Holzbretts auf. Am Anfang mit zu wenig Epoxidharz. Da ruft Jannek wie auf Knopfdruck quer durch die Werkstatt: «Nicht zu geizig mit dem Harz umgehen!» Wird gemacht. Das Gleiche bei der Negativ-Form, dann lege ich die erste Glasfaser in die Form: Die Glasfasern geben dem Board die Festigkeit. Sie nehmen später die ganzen Kräfte auf, die auf das Board wirken. Darauf wieder eine Schicht Epoxidharz, alles glattstreichen und darauf achten, dass alle Luftblasen raus sind. Dann kommt eine weitere Glasfaser-Gewebeschicht. Und, man ahnt es schon: wieder Harz drauf, glätten. Langsam bin ich geübt. Jetzt noch meine blau gefärbte Glasfaser, dann lege ich den Holzkern auf diese Schicht, tauche ihn ebenfalls in das Epoxidharz und starte in umgekehrter Reihenfolge. Blaue Glasfaser und zwei weitere Glasfaser-Gewebeschichten. «Waren das endlich alle Schichten?», frage ich Jannek hoffnungsvoll? «Fast, aber Du hast noch ganz schön viele Luftblasen, schau mal da», sagt er und reicht mir einen Plastikspachtel. «Na gut, die krieg ich auch noch weg», murmele ich leise und werfe einen heimlichen Blick auf die Uhr. Es ist spät geworden, doch der erste Tag ist noch lange nicht vorbei. Ich muss das sogenannte Abreissgewebe auftragen, das später einfach wieder entfernt wird, und die überstehenden Schichten an den Seiten mit der Schere abschneiden. Das dauert, denn das Harz macht das Gewebe superrutschig. Noch länger dauert es, die Seiten mit Aceton zu reinigen, damit auch wirklich kein Tropfen Epoxidharz übrig bleibt. Sonst besteht die Gefahr, dass das Verpressen mit Vakuum nicht funktioniert. Ich werde wieder nervös, reinige die Seiten lieber ein paar Mal mehr. Sonst wäre die ganze Arbeit umsonst.

Dann kommt der grosse Augenblick: das Vakuumieren. Jannek legt zwei weitere Schichten, das Vakuumvlies und die Vakuumfolie, über das gesamte Kiteboard, legt an einer Seite mittig einen kleinen Schlauch ein, der mit der Vakuumpumpe verbunden wird. Dann noch eine Schraubzwinge in der Mitte anbringen, damit das Board vorgebogen wird. Liegt alles richtig an, habe ich keinen Harztropfen übersehen? Mir bricht der Schweiss aus … «Sieht gut aus», sagt Jannek, wirft die Vakuumpumpe an. Man hört, wie die Luft aus den Schichten gezogen wird, Jannek nimmt die Schraubzwinge ab … Plötzlich stockt er, macht die Pumpe schnell aus und ruft: «Stopp, hier ist ein Stück Vlies zu lang und hat sich unter das Brett geschoben. Das muss ich schnell rausfischen.» Mir bleibt fast das Herz stehen. Alles für die Katz. Jannek arbeitet still vor sich hin, und siehe da: Er kann das Vlies richten – und mein Kiteboard retten. Selten war ich so erleichtert, und überglücklich sehe ich zu, wie Jannek die Vakuumpumpe wieder anwirft. Dann legen wir mehrere Heizdecken auf das Board, damit sie es schön warm haben. Und bei rund 50 Grad über Nacht regelrecht gebacken werden. So härtet Epoxidharz besser durch. Na dann: gute Nacht!

Autorin Esther Acason trägt mithilfe eines Farbrollers Epoxidharz auf die unterschiedlichen Gewebeschichten des selbst gebauten Kiteboards

Der nächste Morgen: Müde, aber glücklich stehe ich wieder in der Werkstatt. Alle Boards haben das Vakuumieren gut überstanden, nichts ist schiefgegangen, wie der Blick unter die Heizdecken verrät. Ich entferne den Schlauch, in kurzen, schnellen Bewegungen auch die Vakuumfolie. Dann das Vakuumvlies und das Abreissgewebe – und schon kommt mein Board in Sicht. Schon jetzt bin ich megastolz: Der Farbverlauf ist so, wie ich mir das vorgestellt hatte, der knallige Gecko strahlt mit mir um die Wette.

Doch noch ist einiges zu tun. Jannek drückt mir die Bohrmaschine in die Hand, und ich bohre die Löcher aus, in denen später der Griff für die Hände und die Fuss-Pads verschraubt werden. Dann schneide ich die überstehenden Seiten, die extrem scharfkantig sind, mit dem Multitool vorsichtig ab, möglichst nah an der ABS-Kante. Puh, geschafft! Dann geht’s wieder an den Exzenterschleifer, mit dem ich beide Oberflächen abschleife.

Dann kommen wir zur Maschine, vor der ich allergrössten Respekt habe: die Oberfräse. Dabei kann eigentlich nichts schiefgehen, versichert mir Jannek: Wir legen die Schablone aus MDF erneut aufs Board, dann ein kleines Stück Holz von jeweils beiden Seiten und Schraubzwingen drauf. Jannek hält das Kiteboard stabil, das flach auf dem Arbeitstisch liegt, während ich die Oberfräse mit einem Kopierfräser langsam an der ABS-Kante und Schablone entlanggleiten lasse. Er hatte recht: Hier kann ich wirklich nichts falsch machen, nur eine ruhige Hand ist gefragt. Trotzdem bin ich froh, als ich alle überstehenden Ränder abgefräst habe. Dann bohre ich durch die Schablone hindurch die Löcher, in die später die Schrauben für die Finnen passen müssen. Geschafft. Jetzt kommt die Stabfräse zum Einsatz: Ich stelle das Board seitlich auf und fräse die ABS-Kanten von unten rund, damit sie maximalen Halt haben. Im Wasser ist das genau andersherum als beim Skifahren. Meine Arme und Hände sind blau eingestaubt – und ich bin fast völlig fertig, langsam auch mit den Nerven. Doch hier ist höchste Konzentration gefragt.

Esther Acason schneidet die überstehende Seite des Kiteboards mithilfe des Multitools ab

Fast geschafft: Mein Kiteboard ist so gut wie fertig. Ich lasse mir von Jannek meinen Fingerabdruck als Klebefolie ausdrucken – ein Markenzeichen von Board Lab: auflegen, Folie abziehen – das Gleiche beim Board-Lab-Logo – und erst mal durchatmen. Jetzt muss der Fachmann ran: Jannek besprüht alle Kiteboards mit speziellem Lack, der das Brett vor UV-Strahlen und Feuchtigkeit schützt. Noch ein paar Stunden warten, dann kann ich das Board mit nach Hause nehmen. Erschöpft, aber glücklich, das Board vorsichtig unter den Arm geklemmt, geht’s nach Hause.

Autorin Esther Acason bringt die Finnen am selbst gebauten Kiteboard an

Der nächste Tag: Der Lack ist komplett getrocknet, und ich will mein Kiteboard endlich komplett sehen. Also zücke ich den Schraubenzieher und bringe auf der Oberseite den Handgriff in der Mitte des Kiteboards an: zwei Pads mit Straps, damit die Füsse fest sitzen; auf der Rückseite vier Finnen.

Autorin Esther Acason steht mit dem selbst gebauten Kiteboard unterm Arm am Hamburger Elbstrand

Mein selbst gebautes Kiteboard ist endlich fertig. Bald werde ich mich damit in die Fluten – vielmehr in den Wind – stürzen. Der Einsteigerkurs ist schon gebucht. Wenn ich das nächste Mal nach Kiel zurückkehre, dann als Kitesurferin – mit meinem Allround-Kiteboard im Gepäck.

Text: Esther Acason | Fotos: Lucas Wahl