Irgendwann im Leben wird es Zeit, sich mit Würde von gewissen Kindheits- und Jugendträumen zu verabschieden. Dass ich kein Pirat mehr werden würde, war mir spätestens mit acht Jahren klar. Traurig? Von wegen. Dass einige Träume auch irgendwann wieder begraben werden müssen, bleibt nicht aus. Doch wie trennt man sich ohne Bitterkeit von einem toten Traum? Zum Beispiel, indem man ihn für andere wieder aufleben und wahr werden lässt.

Kinder sind die wohl dankbarsten Empfänger für geschenkte Träume. Und für selbst gebautes Spielzeug. Lucas, Fotograf dieser Reportagereihe, selber ein echter Macher und dazu noch Vater eines vierjährigen Mädchens, gibt die Initialzündung: «Wir müssten mal was für Kinder bauen», sagt er, vielleicht nicht ganz uneigennützig. Und ich nehme den Funken auf: «Wie wär’s mit einer Seifenkiste?»

Sascha Borrée

Auch ich bin nicht ganz uneigennützig: Mein eigener Traum von der Karriere als Seifenkisten-Pilot starb kurz vor der Pubertät. Zu seinem Ableben trugen auch die damals eher mittelmässig ausgebildeten handwerklichen Fähigkeiten in unserer Familie bei. Wie dem auch sei, der verhinderte Seifenkisten-Pilot in mir kann sich also gerade keine bessere Aufgabe vorstellen, als einen eigenen Rennwagen für Jule, Lucas’ vierjährige Tochter, zu bauen.

Die Sache ist also klar: Lucas und ich legen los, müssen uns aber erst mal für eine bestimmte Seifenkisten-Konstruktion entscheiden. Nur gut, dass Seifenkisten optimale Schrauber-Projekte sind. Sie fahren nicht vom Fliessband, anders als zum Beispiel Bobbycars, Gokarts oder Kettcars. Man muss also schon selbst Hand anlegen, und genau das haben viele vor uns getan. Kein Wunder, dass wir im Internet jede Menge Gratis-Baupläne finden. Wir sichten die verschiedenen Varianten, entscheiden uns schliesslich für das offizielle Modell vom Deutschen Seifenkisten Derby. Weil es schön schnittig wirkt wie ein echter Bolide. Vielleicht noch wichtiger: Das Gefährt erfüllt alle Voraussetzungen für einen Start bei den Rennen des Traditionsverbands. Falls sich Jule als richtiges Rennfahrerinnen-Talent erweist, sollen ihr später alle Möglichkeiten offenstehen.

Sascha Borrée plant seine Seifenkiste mit einem Bauplan + Sascha Borrée plant seine Seifenkiste mit einem Bauplan

Die mechanischen Komponenten, also Achsen, Räder, Bremsen und Lenkung, kaufen wir deshalb vorschriftsmässig auch direkt beim Verband. Die Holzteile holen wir aus dem Baumarkt. Mithilfe des Bauplans und eines Bleistifts übertragen wir die Umrisse der Seifenkiste auf die 25 Millimeter dicke Boden- und die 19 Millimeter dicke Deckplatte. Per Stichsäge sorgen wir dann für den richtigen Zuschnitt, denken oben auch schon an das Einstiegsloch und unten an die Aussparung für die Bremseinheit. Für die Versteifungen an Front, Heck und Seiten sägen wir noch mehrere Streben passend zu.

Sascha Borrée zeichnet die Umrisse auf das Holz + Sascha Borrée sägt die Einzelteile für seine Seifenkiste aus

Das Fahrgestell ist jetzt schnell zusammengeleimt und -geschraubt. Nicht viel länger dauert es, die Räder, die Kugellager, die Achsen sowie die Achsaufhängungen erst miteinander und dann am Fahrgestell zu montieren – für Letzteres reichen vier Schrauben pro Achsaufhängung. Die hintere Achse wird noch im rechten Winkel zur Fahrtrichtung fixiert, die vordere erhält schön Spiel. Über sie soll später schliesslich gelenkt werden.

WMDM Seifenkiste geteilt 3

Hat Räder, rollt, erinnert schon entfernt an ein Auto: Unsere Seifenkiste nimmt Gestalt an. Noch kann man aber guten Gewissens kein Kind damit fahren lassen, erst müssen Bremse und Lenkung rein: sechs Schrauben für den Lenk-Brems-Block, vier weitere für die Einheit, über die wir anschliessend die Bremsseile spannen.

Sascha Borrée schraubt die Reifen an seine Seifenkiste

Sitzt, hält, fährt? Höchste Zeit für eine Probefahrt, finden Jule und ihr Freund Henri. Mit vier Jahren sind sie fast noch ein bisschen zu klein für die Seifenkiste, die auf Kinder bis zwölf ausgelegt ist. Kein Problem, eher ein Glücksfall: So passen die beiden zu zweit rein. Vorher setzen sie natürlich noch ihre Fahrradhelme auf. Und dann geht’s los, die Strasse runter, trotz geringem Gefälle mit zunehmendem Karacho. Nach zwei, drei Versuchen bekommt Jule auch das Bremsen und Lenken gut hin. Ich laufe besser trotzdem nebenher, Lucas sichert die Strasse nach unten hin ab.

Die Probefahrt: ein voller Erfolg. Fehlt nur noch: die Karosserie, bestehend aus zwei vier Millimeter dünnen und daher biegsamen Pappel-Sperrholzbrettern. Passend zugeschnitten hat sie schon der Baumarkt-Mitarbeiter, mit einem Stechbeitel schaffen wir jetzt Aussparungen für die Achsen und Lenkseile. Leim und viele Schrauben verbinden die Seitenplatten mit dem Rest der Seifenkiste. Profis würden die Schraubenköpfe noch mit Spachtelmasse abdecken, die Karosserie dann in richtiger Renn-Optik lackieren. Doch Lucas und ich sind Schrauber, keine Künstler, und ums Bemalen will sich die neue Besitzerin der Seifenkiste sowieso persönlich kümmern. Noch würdigt sie die Farben, die wir bereitgestellt haben, aber keines Blickes: Jetzt wird erst mal gefahren.

Sascha Borrée hält das Gestell einer Seifenkiste in den Händen +

Ich sehe zu, wie Jule und Henri gemeinsam die Strasse runterrollen. Bergauf muss ich schieben, dann folgt die nächste Abfahrt. Und die nächste und die nächste.

Ich sehe zu, wie Jule und Henri gemeinsam die Strasse runterrollen. Bergauf muss ich schieben, dann folgt die nächste Abfahrt. Und die nächste und die nächste.

Und ich verstehe, dass die Träume unserer Kindheit eigentlich nie sterben. Wir müssen sie auch nicht begraben, so ein Unsinn. Wir müssen sie einfach nur loslassen, abgeben. Und den Kindern von heute anvertrauen.

Text: Sascha Borrée | Fotos: Lucas Wahl