Jetzt oder nie: Sascha baut sich einen Bogen
Mammuts erlegen, Bösewichter besiegen: Unser Autor will endlich auch zur Liga der Abenteurer gehören und baut sich, was man dafür haben muss: Einen Langbogen. Allerdings ist der Weg dorthin länger – und raspelintensiver – als er dachte.
Die Sache scheint hoffnungslos. Meine Schulter wummert, mein Handgelenk brennt, genau wie die Mittagssonne. Seit heute Morgen schiebe ich die riesige Raspel immer wieder über das Holz – es sieht trotzdem noch fast genauso aus wie ein paar Stunden zuvor. Es soll ein einfacher Bogen werden. Momentan ist es nur ein Stück Eibe, massives, knapp zwei Meter lang, etwa zehn mal zehn Zentimeter dick. «Im Prinzip ist das ganz easy», hatte Ryan Gauthier, ein kräftiger Kerl mit langem Vollbart und schwarzer Punk-Kluft, zu Beginn gesagt, «du musst nur alles abtragen, was nicht nach Bogen aussieht.» Klar doch.
Die Idee klang hoch romantisch: Ich wollte einen traditionellen Langbogen bauen. Nicht wie das Kinderspielzeug, selbst gebaut aus einem Ast, mit zwei Kerben versehen, Seil dran. Fertig. Nein, ich meine die Waffe, mit der unsere Ururur-undsoweiter-Grosseltern die Mammuts erlegt haben. Mit der Robin Hood den fiesen Sheriff von Nottingham zur Strecke gebracht hat. Die aktuell bei «Game of Thrones» für Angst und Schrecken sorgt.
Die enormen Zugkräfte, die nachher beim Spannen entstehen, müssen sich gleichmässig im Bogen verteilen.
Ryan Gauthier, Bogenbauer
An der kanadischen Westküste geht man noch immer mit Bögen auf die Jagd, deshalb beherrscht man dort auch die Kunst des Bogenbaus. Hier also, in Vancouver, zeigt mir Ryan jetzt schon seit Sonnenaufgang in einem Workshop, wie man aus kantigem Längsholz seinen eigenen Bogen herstellen kann. Und stellt dabei meine Geduld auf eine echte Probe. Doch der Reihe nach.
1. Den passenden Rohling wählen
Mit dampfenden Kaffeebechern in der Hand stehen wir morgens in Ryans Schuppen, der ihm als Werkstatt dient. An der Wand lehnen Dutzende Längshölzer, Bogenrohlinge. Ryan greift einen, stellt ihn neben meinen Füssen auf den Boden wie eine Messlatte, die mir bis zum Scheitel reicht. «Passt», sagt er und lässt seine Finger über das Stück Holz fahren. «Das nehmen wir. Das ist Premium-Qualität, gerade gewachsen, kaum Astlöcher.» Eine Frage der Optik? Von wegen, es geht um Physik: „Die enormen Zugkräfte, die nachher beim Spannen entstehen, müssen sich gleichmässig im Bogen verteilen“, erklärt Ryan. «Astlöcher sind aber entweder weicher oder härter als das übrige Holz – was den Bogenbau deutlich verkompliziert.»
2. Hacken, schälen, raspeln: das Werkstück in Form bringen
Ryan nimmt einen Stift, zieht schwarze Striche auf der von Borke besetzten Seite des Holzes, lässt mich die markierten Stellen mit einem kleinen Beil abschlagen. Als ich fertig bin, verjüngt sich das Werkstück erst ganz leicht an den Enden, eine Bogenform erkennt man noch lange nicht. «Wir müssen vorsichtig sein, Fehler werden beim Bearbeiten nicht verziehen», mahnt Ryan, «Was einmal weg ist, ist für immer weg.» Weise Worte, die er später immer wieder verwendet, sie wie ein Mantra wiederholt. Weg soll aber schon mal die Borke, mit einem Schäleisen ziehe ich sie ab. Dahinter kommt makelloses weisses Splintholz zum Vorschein. «Das ist ganz junges, frisches, gut dehnbares Holz», erklärt Ryan, «es eignet sich hervorragend als Bogenrücken, diese Seite belassen wir so.»
An den anderen Seiten gibt es dafür reichlich zu tun. Ryan markiert wieder mehrere Stellen, reicht mir eine grosse Raspel, die wie eine Nagelfeile für Elefanten aussieht. «Nah dran, damit pflegt man sonst Pferdehufe», sagt der Bogenbau-Meister. Auf seine Anweisung raspele ich jetzt alle gestrichelten Flächen ab. Wie weit? Ryan mustert das Werkstück, markiert erneut ein paar Stellen, gibt es mir zurück.
3. Jetzt wird’s spannend: die Sehne aufziehen
Markieren, raspeln, markieren, raspeln – so arbeiten wir zwei, drei Stunden lang. Bald meldet meine Schulter schmerzend Protest an. Fortschritte? Kaum zu erkennen. Der Traum vom Bogenschiessen weit weg. «Geht’s nicht auch schneller, vielleicht mit einem Hobel?», frage ich ungeduldig. «Manche machen das mit der Schleifmaschine», räumt Ryan ein. «Mir persönlich wäre das aber zu riskant. Wenn wir zu viel Holz an der falschen Stelle wegnehmen, kann der Bogen nachher brechen.» Dann kommt es wieder: «Was weg ist, ist weg.» Ich füge mich meinem Schicksal und greife wortlos wieder zu meinem neuem Lieblings-Werkzeug, der Raspel. Erst am späten Nachmittag – das Werkstück ähnelt mittlerweile immerhin einem zu dick geratenen Hochsprungstab – werde ich erlöst.
Ich darf Haken schnitzen, die sogenannten Nocken, sozusagen die Kerben, an den beiden Enden des Stabs. Ryan bearbeitet währenddessen die Sehne, die deutlich kürzer ist als der Stab, fädelt sie dann in die untere Nocke ein. Er klemmt die Nocke zwischen seine Schuhsohle und den Erdboden, drückt gegen den Mittelteil des Werkstücks, biegt es so weit, bis sich an der oberen Nocke auch die andere Seite der Sehne einfädeln lässt. Ein fast magischer Moment: Was bis eben wie ein schlichter Stab wirkte, sieht auf einmal nach einem echten, fertigen Bogen aus.
4. Raspeln für Fortgeschrittene: das Feintuning
Und nun? Schnell das Holz schmirgeln und behandeln, danach endlich ein paar Pfeile abschiessen? Pah, zu früh gefreut. «Der ist noch viel zu dick», sagt Ryan, als wir uns am nächsten Morgen meinen englischen Langbogen anschauen, «vor allem die Enden müssen wir deutlich verschlanken.» Wie das geht? «Na, mit der Raspel!» Im Prinzip läuft also alles wie bisher. Einziger Unterschied: Nach jeder Raspel-Runde spannt und begutachtet Ryan den Bogen im sogenannten Tillerstock, einer Vorrichtung an der Wand des Schuppens. Tillern? Was zur Hölle ist das denn? Tillern bedeutet beim traditionellen Bogenbau, das Holz so lange abzutragen, bis der obere Wurfarm und der untere Wurfarm gleichmässig gekrümmt sind – und der Bogenrohling seine endgültige Biegung erhält. «Fällt dir was auf?», fragt mich Ryan. Ja, doch: Manche Stellen sind ein wenig dünner, sie biegen sich schon ganz geschmeidig. Andere, etwas dickere, wirken dagegen eher steif. Mein Bogenbau-Meister löst die Sehne, setzt Markierungen. Und ich widme mich wieder der Elefanten-Maniküre, vergesse irgendwann die Zeit, entdecke die entschleunigend-meditative Wirkung des Raspelns. Erst am Nachmittag des zweiten Bogenbau-Tags haben wir fertig geraspelt – fast werde ich ein bisschen wehmütig.
5. Loslassen: schleifen, spannen, schiessen
Jetzt aber! Nicht mehr lange und wir können endlich mit dem Bogenschiessen beginnen! Ich schleife das Holz schön glatt, schrittweise mit 60er-, 120er- und 220er-Sandpapier. Mit Schellackpolitur bringe ich es besonders zum Glänzen. Dann ist der grosse Augenblick gekommen. «Freu dich nicht zu früh», warnt Ryan. «Holz ist nie ganz berechenbar. Manche Bögen halten ein Leben lang, andere sehen zwar einwandfrei aus, brechen aber beim ersten Schuss.»
Ich lege den Pfeil ein, spanne den Bogen, muss meine ganze Kraft aufbringen. Meine zitternden Muskeln kämpfen um die letzten Zentimeter. Ich ziele auf das hölzerne Reh, das Ryan aufgestellt hat, lasse die Sehne los. Sie schnellt vor, der Pfeil fliegt. Getroffen? Leider nein. Einen satten Meter neben dem Reh bohrt sich der Pfeil in die Wand von Ryans Schuppen. Leicht verlegen blicke ich zum Meister. Er grinst, zuckt mit den Schultern: «Du brauchst halt Übung», sagt er. Und ich verstehe: Zu lernen, wie man einen Bogen herstellt – das ist das eine. Zu lernen, wie man damit richtig schiesst und trifft – das ist eine ganz andere Geschichte.
Text: Sascha Borrée | Fotos: Peter Holst