Es ist wieder soweit: Bis auf die wenigen, die vom Winterschlaf direkt in die Frühjahrsmüdigkeit rutschen, machen sich die Hand- und Heimwerker aller Nationen wie ferngesteuert auf den Weg. Ja, aber wohin eigentlich?

Tim Gutke

Nicht direkt zum Baumarkt, nein. Davor steht eine spirituelle Reise. Es ist ein Weg zu sich selbst. Denn so gross die Bewegung auch ist, bleibt die Motivation des Schaffens ein Einzelschicksal. Es geht darum, sich ein Denkmal zu setzen. Etwas, vor dem wildfremde Menschen in einer gewissen Ehrfurcht stehen bleiben und Worte murmeln wie «Wow, stark!» oder «Stark, wow!». Und es sind Dinge, vor denen man selber stehen bleibt, kurz innehält und denkt: «Wow, stark!» Und: «Ich kann das. Ich war das.» Und «das» kann alles sein: das gedeckte Dach, der aufgestellte Zaun, der gefällte Baum. Es geht darum, etwas zu schaffen, das bleibt – zumindest einen Sommer lang.

Und am Ende ist es sogar weit mehr noch als ein spiritueller Weg. Ist das alles, was gerade passiert, noch viel grösser? Möglicherweise unser genetischer Auftrag? Irgendwie ist Schaffen doch der Versuch, der Vergänglichkeit ein Schnippchen zu schlagen, etwas Neues zu beginnen. In gewisser Weise ist der Frühling die Putzfrau, die einmal richtig durchwischt, was der Winter nach seiner langen, kalten Party hinterlassen hat. Und da die Natur ein kluger Profi mit jeder Menge Lebenserfahrung ist, spannt sie uns Menschen mit ein. So gleicht der Aufbruch in den Frühling einer frischen Liebe. Wie bei der Liebe zwischen zwei Menschen, bei der ein Denkmal entsteht – eines auf zwei Beinen und mit einem lauten Organ –, entsteht bei der Liebe zum Frühling ein eigenes Denkmal. Ein selbst erbautes, mit den eigenen Händen erschaffen.

Der Frühlingsbeginn ist der Wendepunkt, an dem Machen mehr Energie bringt als kostet. Das System ist biologisch von der Natur so angelegt. Wenn die wärmenden Sonnenstrahlen des Frühlings die Haut treffen, schüttet der Körper Endorphine aus – Frühlingsgefühle. Eines davon ist Serotonin, das wird vor allem mithilfe von Vitamin D produziert. Anders ausgedrückt: ohne Sonne keine Vitamine, ohne Vitamine kein Antrieb. Die Energie, die nun freigesetzt wird, hält die Welt am Laufen. Sie hält uns am Laufen. Es ist der Startschuss, den die Natur uns gibt. Man kann den Knall fast greifen, die Evolution startet ein Programm, das tief in uns verankert ist, seit wir vom Baum runter sind. Es ist die alljährliche Wiedergeburt, der sich alles unterordnet. Niemand kann da aus seiner Haut. Denn für alles gibt es die richtige Zeit, den richtigen Rhythmus. Es gibt eine Zeit für den Verfall und eine für den Aufbau, das ist der Kreislauf des Lebens. Die Erde braucht 365 Tage um die Sonne, der Mond 29,5 Tage um die Erde, und der Tag bringt in unseren Breitengraden im besten Fall zwölf Stunden Sonne. Oder im Winter gar keine. Und genau da liegt das Problem: Vitamin-D-Mangel. Und so gibt es eben die Frühlingsgefühle und das Gegenstück, den Winterblues.

Mein Winterblues beginnt jedes Jahr gegen Ende Oktober. Dann kann mich die Nachbarschaft dabei beobachten, wie ich mit einem Kreuzschraubendreher, einem 13er Maul- und einem 11er Ringschlüssel in der Hand hinter dem Garagentor aus Blech verschwinde. Dann drehe ich mir sinnbildlich den Saft ab. In je einer Hand eine Batterie, wie zwei erlegte Hasen – links Auto, rechts Motorrad –, kehre ich zurück in meine beheizte Altbauwohnung im Berliner Westen. Es ist die letzte Beute des Jahres, der Bär schliesst hinter sich die Tür zu seiner Höhle.

Autor Tim Gutke, Meister der handwerklichen Selbstüberschätzung

Erst jetzt, wo der Frühling, die Natur oder wer auch immer mich ruft, bin ich voll da. Die Sonne ist der Motor, der alles antreibt, Blätter spriessen lässt und die Kälte aus den Knochen, der Motivation und den Materialien treibt. Sie ist der Baumeister des Lebens und der Frühling seine Auftragsbestätigung. Willkommen, Lust am Schaffen. Ich schleppe alles mit einer fast schon vergessenen Energie raus aus der Wohnung an die frische Luft. Die Chromteile, die ich kurz vor dem Wintereinbruch abgeschraubt hatte, damit sie in der Küchenspüle für Tage einweichen können; den Werkzeugkoffer, der über Wochen ausgeweidet auf dem Flurboden lag, um von mir akribisch auf Vollständigkeit geprüft zu werden; und die geladenen Batterien, alles, was die letzten Monate aus unserer Wohnung eine Werkstatt machte. Und während ich im Taumel des Glücks aus meiner Höhle ins Freie stolpere, höre ich meine Freundin leise sagen: «Gott sei Dank, der Frühling ist da.»

Text: Tim Gutke | Aufmacherfoto: belovodchenko/GettyImages, Porträtfoto: Tim Gutke