Rollen nach Mass
Holz ist sein Material, Skateboards sind seine Leidenschaft: Sam Hunt baut sie im Stil der guten alten Zeiten.
Sam Hunt steht in einer riesigen Wolke aus Staub. Das Kreischen der Schleifmaschine ist gerade verstummt, als er sich die grosse graue Atemschutzmaske von Mund und Nase zieht. «Was für eine Drecksarbeit», sagt der 29-Jährige mit der ausgewaschenen Jeans, dem schlabbrigen T-Shirt und dem braunen Wuschelhaar, auf das sich jetzt ein feiner Film aus pulverisiertem Holz legt. Dann lacht er. «Das gehört einfach dazu.»
Sam Hunt steht in seiner Werkstatt in Kingswood, einer Vorstadt östlich von Bristol im Südwesten Englands. Vor ihm, auf einem grossen Tisch, liegt ein unterarmlanges Brett, das er gerade mit dem Schleifer traktiert hat. Hinter ihm hängen, fein säuberlich sortiert, Werkzeuge an der Wand, Stichsägen, Feilen, Schablonen, Schraubenzieher. Darunter, auf der Arbeitsplatte, stehen und liegen Akkuschrauber, Pinsel, Lackdosen und Atemschutzmasken. Besonders auffällig aber sind die Holzstücke, die sich gegen die Werkbank lehnen: ovale Bretter, mal spitz zulaufend an den Enden, mal abgerundet, manche mit Zacken, die wie die Schwanzflosse eines Fischs aussehen.
Sam baut Skateboards. Nicht irgendwelche, sondern nach Mass. Die Idee dafür kam Sam während seines ersten Jahres am Herefordshire and Ludlow College, das anderthalb Stunden nördlich von Bristol liegt und für sein Rural Crafts Centre bekannt ist, an dem man auch Schmieden, Satteln und Möbelbau lernen kann. «Ich hatte mich für einen Kurs in Kunsthandwerk eingeschrieben. Irgendwann, als ich alle meine Projekte für das Lehrjahr abgeschlossen hatte, sagte mein Tutor: ‚Mach einfach, worauf du Lust hast.‘ Also baute ich ein Skateboard», erzählt Sam. «Mein Tutor liebte es.»
Die Freude am Fahren
Sam skatet, seit er elf, zwölf Jahre alt ist. Kurvt durch die örtliche Mall, fährt Slalom zwischen Passanten, slidet an Sitzbänken entlang. Das Schlüsselbein hat er sich schon bei seinen Manövern gebrochen, das Fersenbein gespalten und die Fussknöchel zertrümmert. Autsch. Für Sam ist der Sport aber auch ein Ventil. «Hier kann ich all den Stress, der sich so im Alltag angestaut hat, in den Asphalt stampfen. Skaten macht einfach den Kopf frei, schiesst Serotonin durch deinen Körper, verleiht Flügel. Ausserdem kannst du überall skaten, auf Strassen, über Treppen, sogar unter Brücken.» Ein Sport ohne jede Regel, völlig von der Rolle.
Mach einfach, worauf du Lust hast‘, sagte mein Tutor. Also baute ich ein Skateboard.
Sam Hunt
Bristol ist für Sams Traum von den eigenen Boards die perfekte Spielwiese. Die hügelige Stadt ist prädestiniert als Skater-Hochburg. Die Park Street, die von der Universität bis runter in die Altstadt führt, zählt zu den steilsten und längsten Strassen des Landes. Nach der Abfahrt sind viele Skater geradezu euphorisiert. Dazu kommen die vielen Skateparks, die die Einheimischen selbst aus Latten, Paletten und Pressspanplatten zusammengezimmert haben. Wo wäre BackBone Boards besser aufgehoben als hier?
2015 geht es los. «Fast ein ganzes Jahr habe ich damit verbracht, mit verschiedenen Hölzern zu experimentieren, die Entwürfe zu zeichnen, die Boards zu produzieren und auf Strasse und Halfpipe zu testen», erzählt Sam. Manchen Decks hat er durch Biegen des Holzes sogar Kicktails verpasst – die gebogenen Enden, mit denen man eine bessere Hebelwirkung bei Sprüngen und Tricks erzeugt, und die eigentlich unüblich sind für Skateboards zum entspannten Cruisen.
Mit Abricht und Dickenhobel begradigt er die Holzplanken, bringt sie auf eine einheitliche Stärke, gleicht Unebenheiten aus, leimt bei Bedarf verschiedene Holzarten zusammen. Dann schneidet er das grobe Stück mit Fräse und Bandsäge in eine elegante Form. Das neue Projekt, das jetzt auf dem Tisch vor ihm liegt, bekommt eine spitze Nase und bleibt am anderen Ende oval.
Im nächsten Arbeitsschritt werden die Kanten und die Oberflächen des neu entstandenen Decks geschliffen, geglättet und leicht nach oben und unten angeschrägt. Da ist er wieder, der Staub, der sich auf die Haare legt, ins T-Shirt kriecht und überall kratzt. Aber egal, denn jetzt beginnt der eigentliche Spass an der Sache.
Sam beklebt die Oberseite mit einer Folie aus Siliziumkarbid. Die drei Streifen, zwei breite am Rand, ein schmaler in der Mitte, fühlen sich an wie Schleifpapier und sorgen bei der Fahrt für besseren Grip. Auf die Unterseite des Decks malt Sam dann noch mit einem feinen Pinsel und schwarzer Farbe einen Triceratops – eine Dinosaurier-Art. Die kunstvolle Bemalung ist für Sam mehr als nur eine Auftragsarbeit, es ist auch eine individuelle Note für jedes einzelne Board und eine Art persönliche Signatur. Seine Kreativität kennt keine Grenzen. Weisse Haie hat er schon auf die Bretter gemalt, Steinböcke und Hirsche: Mit dem Kopf durch die Wand, voll Karacho, das passt zu ihm.
Als das Deck fertig dekoriert und mit Klarlack behandelt ist, bohrt Sam acht Löcher ins Brett, vier pro Achse, und schraubt sie dann mitsamt den Rädern unters Deck. Zum Schluss brennt er mit einem glühenden Eisen das Logo von BackBone in die Oberseite des Decks. Der letzte Schliff.
Wenn man Sam dabei beobachtet, wie er mit dem Bleistift die Schnittkanten auf dem Holz einzeichnet, wie er beim Schleifen über Ecken und Kanten streicht, scheint es, als wäre er in Trance. Er geht in der Handarbeit auf, liebt den Geruch von französischem Nussbaum, Eiche, Esche, Iroko und Sapeli-Mahagoni. «In der Werkstatt bist du selten allein, da wuselt immer einer um dich herum. Aber am Ende gibt es nur dich und das Board», sagt er und fährt fort: «Besonders aufregend ist es, wenn ich ein neues Projekt anfange: Zu sehen, wie sich dieses rohe Stück Holz in etwas verwandelt, das man tatsächlich zum Skaten benutzen kann, das ist einfach das Grösste.»
Davon leben kann Sam nicht. 2020 hat er gerade einmal eine Handvoll Skateboards gefertigt, für Freunde und Liebhaber. Seine kleinen Cruiser sind einfach «oldschool» und deshalb nur für einen kleinen Teil der Szene interessant. Sie sind auch nicht so günstig wie die Produkte der grossen Hersteller, die den Markt jede Saison mit immer neuen Modellen überschwemmen. «Die Boards sind nicht für die Masse gemacht», sagt Sam.
Seine Miete und seine Einkäufe bezahlt er mit dem Einkommen aus seiner Möbel-Manufaktur Contrast Timbers, die er hauptberuflich mit einem Freund betreibt: «Ich habe BackBone Boards nicht gegründet, um damit reich zu werden. Es ging vielmehr darum, eine Leidenschaft zu teilen.»
Zu sehen, wie sich dieses rohe Stück Holz in etwas verwandelt, das man tatsächlich zum Skaten benutzen kann, das ist einfach das Grösste.
Sam Hunt
Den grundlegenden Ansatz von BackBone Boards würde Sam daher auch niemals ändern. Handgemacht sollen seine Bretter sein, und etwas ganz Besonderes. Sam will auch nicht zur Umweltverschmutzung beitragen. «Alle Welt sucht gerade händeringend nach einer Lösung für den gewaltigen Plastikberg, der unsere Kontinente und Meere vergiftet. Und trotzdem werden noch immer massenhaft Skateboards aus Kunststoff produziert, schnell und billig. Das ist doch bizarr!»
Sam hingegen bezieht sein Material von einem lokalen Händler, der ausschliesslich englisches Holz kauft und verkauft, oder von Holzfällereien aus der Grafschaft Wiltshire direkt vor der Stadt: «Wenn du gut drauf achtest und es gut pflegst, ist Holz ein sehr nachhaltiges Material, das dich ewig begleitet.»
Ein Skateboard, handgemacht, umweltfreundlich und lange haltbar: Damit kann man doch noch was ins Rollen bringen, Stück für Stück. Wie damals in den Fünfzigern, als ein paar Surfer Räder unter ihre Bretter schraubten und damit für eine Revolution sorgten.
Text: Laslo Seyda I Fotos: Ashley Bourne; Jacob Ponting/Lacuna Productions
BackBone-Boards
Hier siehst Du mehr darüber, wie BackBone-Boards gemacht werden.