Stonehenge in Niederbayern
Wie in England: Landschaftsgärtner Werner Wick hat den inneren Ring der weltberühmten Kultstätte Stonehenge nachgebaut. In seinem Garten in Niederbayern.
Manchmal, mitten in der Nacht, überkommt es Werner Wick: Dann legt sich der 64-Jährige hinter dem Haus im Garten rücklings auf den blanken Boden und betrachtet den Sternenhimmel über dem niederbayerischen Ort Velden. Mehr als 300 Tonnen Stein umgeben ihn dabei – formiert wie das prähistorische Monument Stonehenge. Keine Miniversion wohlgemerkt, sondern im Massstab 1:1. «Ich habe einen magischen Platz geschaffen», sagt der 64-Jährige. «Einen Ort, der Kraft gibt und zum Denken anregt.»
Das Vorbild in Südengland wurde vor mehr als 4000 Jahren errichtet. Werner schuf sein Projekt Mitte der Nullerjahre. Reine Bauzeit: vier Monate. «Ein Jahr bevor ich mit dem Bau angefangen habe, hatte ich einen schweren Autounfall», erinnert sich Werner. Er streicht sich über die alte Lederweste, die er fast immer trägt. «Da habe ich mich entschieden, etwas zu erschaffen, das ich seit meiner Jugend immer wollte, aber stets vor mir hergeschoben hatte: Stonehenge nachzubauen.» Als Teenager hatte er das Monument mit der weltberühmten Steinformation in der Ebene von Salisbury besucht – seitdem war es ihm nicht mehr aus dem Kopf gegangen.
Als die Entscheidung einmal stand, machte Werner sich an die Arbeit, fuhr 120 Kilometer in Granitsteinbrüche in den Bayerischen Wald, sichtete riesige Steinbrocken. «Ich habe viele Dutzend Megalithen quasi im Kopf fotografiert und mir ihre dreidimensionale Form gemerkt», sagt Werner, «dann habe ich überlegt, welche gut zusammenpassen könnten.» Ausgewählte Steinriesen transportierte er dann mit dem Tieflader in seinen Garten. «Einmal hatte ich 89 Tonnen auf einem sechsachsigen Lkw-Zug. Der Wahnsinn!»
Kurz vor Baubeginn lagerten insgesamt etwa 90 Felsbrocken hinter seinem Haus. «Es sah aus wie in einem Steinbruch.» Mit seinem Jugendfreund Wast Tafelmeier begann er, ein Plateau anzulegen und darin mit dem Bagger bis zu drei Meter tiefe Löcher auszuheben, in die sie die gigantischen Steine setzten.
Die fünf Tore mit den Einzelbrocken von bis zu 63 Tonnen Gewicht wurden zur grössten Herausforderung. Allein beim Abladen der Steine standen acht bis zehn Mann auf dem Radlader, als Gegengewicht, um zu verhindern, dass das Fahrzeug kippt. Der grösste Schreckmoment kam beim nächsten Schritt, dem Aufstellen der «Torpfosten»: «Wir hievten gerade einen 28 Tonnen schweren Stein hoch. Fast hatten wir ihn aufgerichtet, als das Stahlseil riss und der Fels auf den Kranbagger krachte.» Noch heute blickt Werner erschüttert drein. «Wir haben damals überlegt, ob wir mit dem Ganzen aufhören. Dann haben wir uns aber doch fürs Weitermachen entschieden.»
Wir haben vier bis fünf Stunden für einen Deckel gebraucht. Die Dinger liegen bombenfest, da gibt es keine zusätzliche Befestigung. Nur die Schwerkraft.
Werner Wick
Zehn magische Torsäulen
Den einzigen grossen Unterschied zum 1000 Kilometer Luftlinie entfernten Original gab es bei der Verankerung der Tore. Um diese am Umfallen zu hindern, bohrten Werner und Wast die Megalithen unten an und setzten etwa 20 Baustahlstäbe ein, die sie in einem Betonfundament verankerten. «Alles andere wäre unverantwortlich gewesen», sagt Werner, «ich wollte ja immer, dass auch andere mein Stonehenge besichtigen können.» Nachdem die zehn Torsäulen standen, mussten die Freunde die «Deckel» der Tore – immerhin auch bis zu sechs Tonnen schwer – platzieren. Ein besonders spektakulärer Arbeitsschritt: Jede Deckplatte schwebte in zwei Stahlseilschlaufen befestigt über den Torpfosten, bis die perfekte Position gefunden war. «Ich stand auf der Deckplatte in luftiger Höhe und rief meinem Freund im Kran zu, wie er die Platte drehen und wenden sollte, bevor er sie dann absenkte. Wir haben vier bis fünf Stunden für einen Deckel gebraucht», sagt er, «aber die Dinger liegen bombenfest, da gibt es keine zusätzliche Befestigung. Da tut’s die Schwerkraft.»
Sommersonnenwende
Vom Zentrum des Steinkreises aus lässt sich im echten wie im niederbayerischen Stonehenge von einem Altarstein aus zur Sommer- und zur Wintersonnenwende der Sonnenaufgang durch das mittlere Tor beobachten. «Hunderte Menschen kommen jedes Jahr zu mir und wollen mein Bauwerk sehen», sagt Werner stolz. «Ich habe keinen Zaun, deshalb kann sich das jeder anschauen. Nur einmal habe ich einen ertappt, der auf dem Altarstein einen Hahn opfern wollte. Da hört dann der Spass auf.»
«Bisher gibt es bei mir nur den inneren Ring, den charakteristischen, den alle von Bildern kennen», sagt Werner. Aber an der Grenze seines Gartens liegen noch einige Dutzend Steine. «Für den äusseren Steinring», meint er schmunzelnd. Ob er selbst noch den nächsten Schritt in Angriff nimmt, weiss Werner nicht. Aber: «Mein Sohn Thomas ist ja auch noch da. Schliesslich wurde das echte Stonehenge auch nicht von einer Generation erbaut.»
Text: Stefan Wagner | Fotos: Werner Wick