Neue Versandzentren im Wochentakt aufgebaut
Die bestehenden Marktversandzentren arbeiten derweil schon längst oberhalb ihrer Kapazitätsgrenzen. Es gibt keinen freien Platz mehr, um weitere Kundenaufträge bearbeiten zu können. In der Bornheimer Zentralverwaltung hat eine Projektgruppe um Logistik-Entwickler Jochen Pohnert aus diesem Grund ein Konzept für den schnellen Aufbau weiterer MVZs entwickelt, vorrangig in aktuell geschlossenen Märkten. Innerhalb weniger Wochen wird konzernweit eine Reihe weiterer Notfall-MVZs aus dem Boden gestampft, in jedem Land mindestens eines. «Eine gigantische Geschwindigkeit, wenn man bedenkt, dass wir in normalen Zeiten für den Aufbau eines neuen MVZs mehrere Monate veranschlagen», sagt Jochen Pohnert. Alte Tugenden, die das Unternehmen einst gross gemacht hatten, erleben jetzt in allen Bereichen eine neue Blütezeit. In der Coronakrise entstehen Freiräume für Innovationen, wachsen die Tatkraft jedes Einzelnen und die schnelle, unkomplizierte Zusammenarbeit über Grenzen hinweg. Im Fall der Notfall-MVZs werden die Standorte aus der Verwaltung heraus nach Kräften unterstützt, bei der technischen Vorbereitung, der Auswahl der Transportdienstleister, der Materialversorgung und der Qualifizierung neuer Mitarbeiter etwa.
Der eigentliche Kraftakt ist aber vor Ort zu stemmen. Kollegen, die vorher im Wareneingang, im Verkauf oder an der Kasse eines nun geschlossenen Marktes gearbeitet haben, bauen neue Arbeitsplätze im Notfall-MVZ auf, oft improvisiert und mit Material aus dem Markt. Und dann gilt es, die neuen Aufgaben zu bewältigen: Kommissionierung, Verpackung, Retourenabwicklung und vieles mehr. «Schwierigkeiten entstanden oft bei grösseren Aufträgen mit vielen verschiedenen Positionen. Deshalb haben wir zusätzlich zu den vollwertigen Notfall-MVZs auch noch sogenannte ‚MVZs light‘ entwickelt, in denen die Prozesse deutlich vereinfacht wurden», erklärt Jochen Pohnert. Mehrere dieser MVZs light wurden im April und Mai in Deutschland und Luxemburg in Betrieb genommen. Ausserdem wurde kurzerhand noch ein Direktversandzentrum in Essingen aufgebaut, das Artikel aus dem Zentrallager direkt an die Endkunden versenden konnte. All das hat geholfen, das hohe Bestellvolumen einigermassen in den Griff zu bekommen.
In der zweiten Märzwoche überschlagen sich für HORNBACH die Ereignisse. Nachdem bereits bekannt geworden ist, dass die Bau- und Gartenmärkte in Tschechien und der Slowakei zum 14. März für Privatkunden schliessen müssen, verfolgen die Führungskräfte in der österreichischen Verwaltung am 13. März gebannt eine Pressekonferenz des Bundeskanzlers. Unter dem Eindruck der stark steigenden Sterberate im Nachbarland Italien verkündet Sebastian Kurz einen weitreichenden Lockdown in der Alpenrepublik, die Baumärkte sollen ab Montag, 16. März, komplett geschlossen bleiben. Während die Kollegen aus der Operative umgehend in allen 14 Märkten Vorbereitungen für den zu erwartenden Rekord-Samstag anstossen, stellen sich Michael Hyna und dem E-Business-Team ganz andere Fragen: «Welche Information stellen wir auf die Startseite? Wo müssen wir die Schliessung überall sichtbar machen? Und wie können wir sicherstellen, dass wir den bevorstehenden Boom der Onlinebestellungen zur Zufriedenheit der Kunden bearbeitet bekommen?»
Auch in der Zentralverwaltung in Bornheim beobachtet man die Entwicklungen im Süden und Osten aufmerksam. Nachdem feststeht, dass nun auch noch die Märkte in Luxemburg und der Schweiz zum Wochenbeginn schliessen müssen, werden kurzerhand sämtliche Besprechungsräume im Erdgeschoss von Gebäude 3 zum Projektbereich erklärt. Kollegen aus Logistik, Technologie, E-Business und Operating kommen nun täglich zusammen – oft auch zugeschaltet per Videokonferenz. Gemeinsam werden Notfallkonzepte entwickelt für jene Regionen, in denen Märkte schliessen müssen: Welche Möglichkeiten gibt es noch, die Kunden mit der benötigten Ware zu versorgen?
Durch die Schleuse zur heiss begehrten Ware
Dort, wo der Kunde zwar nicht mehr in den Markt darf, aber eben noch an ihn heran, setzt das erste «Notfallkonzept» an. Bereits im Jahr 2011 hatte HORNBACH in nahezu sämtlichen Regionen das Modell «Online reservieren und Abholen im Markt» eingeführt. Diese sogenannten R+A-Aufträge gehen jetzt regelrecht durch die Decke. An etlichen Standorten ist das Volumen mehr als doppelt so hoch wie im vergleichbaren Vorjahreszeitraum. Die Kunden reservieren über den Onlineshop, aber weiterhin auch telefonisch und per E-Mail. «Die Zahl der Aufträge ist bereits im März so massiv gestiegen, dass wir unsere übliche Zielsetzung, die Waren innerhalb von zwei Stunden zur Abholung bereitzustellen, nicht mehr halten konnten», erklärt Olga Hahn, die mit der Leitung einer Projektgruppe betraut ist. «Um Abstände einhalten zu können, haben wir schliesslich Zeitslots geplant und die Kunden entsprechend eingeteilt. An vielen Märkten mussten auch Schleusen aufgebaut werden, mit einer Einbahnstrasse und nur jeweils einem Ein- und Ausgang. Später haben wir auch Abholstationen eingerichtet.» Beim Bezahlen setzt HORNBACH verstärkt auf kontaktlose Möglichkeiten. Kunden, die weiterhin bar bezahlen wollen, können in den Schleusen und an den Warenausgaben sogenannte Cash-Recycler nutzen. Erstmals wird bei den R+A-Aufträgen aber auch eine Bezahlung im Voraus angeboten und sofort stark in Anspruch genommen.
Während es in Schweden und einigen anderen Staaten Europas zu diesem Zeitpunkt noch keinerlei Einschränkung für den Betrieb der Bau- und Gartenmärkte gibt, wird in anderen Ländern bereits der komplette Lockdown vollzogen. In Österreich etwa kann nun kein Kunde mehr im Markt einkaufen, auch Handwerker und Gewerbetreibende nicht. Da zugleich die Möglichkeit entfällt, reservierte Waren am Markt abzuholen, explodieren die Onlinebestellungen. Das Volumen liegt in der dritten Märzwoche mehr als 200 Prozent über dem Vorjahr. «Wir hatten in der Vorwoche zwar mit einem deutlichen Anstieg gerechnet, solch ein Ausmass jedoch nicht erwartet», sagt E-Business-Leiter Michael Hyna. Vorsorglich war bereits die Zahl der Mitarbeiter in den beiden Marktversandzentren (MVZ), die seit einigen Jahren einen erheblichen Anteil der Onlinebestellungen bearbeiten, erhöht worden. Kollegen aus den geschlossenen Märkten kommen nun hier zum Einsatz.
Mit Euro-Paletten entstehen zusätzliche Arbeitsflächen
Das stellt das Unternehmen wieder vor neue Herausforderungen. Um Abstände untereinander einhalten zu können, müssen weitere Arbeitsflächen geschaffen werden. Die MVZs werden kurzerhand in den jeweiligen Markt hinein verlängert, in Bad Fischau bauen Mitarbeiter inmitten des Drive-In und anderer Abteilungen mit Euro-Paletten neue Packtische auf. Auch die stark steigende Zahl der Waren wird nun an allen möglichen Ecken und Enden des Marktes zwischengelagert. «An einigen Tagen haben wir über den MVZ-Betrieb genauso viel Ware aus den Regalen herausgeholt wie sonst an manchen Verkaufstagen im Marktbetrieb», sagt Michael Hyna und schiebt hinterher: «Gereicht hat das dennoch nicht. Irgendwann mussten wir den Not-Aus-Knopf drücken und die Bestellmöglichkeiten reduzieren.»
Mittlerweile sind rund 40 Prozent aller HORNBACH-Märkte ganz oder teilweise geschlossen, auch in den deutschen Bundesländern Bayern, Sachsen und Niedersachsen. Für Handwerker, Gewerbetreibende und Landwirte gibt es vereinzelt Ausnahmen, mancherorts ist auch noch R+A möglich für Privatkunden, doch einem Grossteil bleibt nur noch die Bestellung über den Onlineshop. Die hohe Nachfrage treibt den Kollegen in etlichen Fachabteilungen die Schweissperlen auf die Stirn. Die Logistikzentren arbeiten unter Voll-Last, die Transportdienstleister haben kaum noch freie Kapazitäten, im Kundenservice schnellen die Anfragen massiv in die Höhe und die Technologie kämpft angesichts der geradezu explodieren Zugriffe auf den Onlineshop mit einer deutlichen Aufstockung der Prozessoren für eine angemessene Rechenleistung. Kaum zu glauben, dass auch noch Zeit bleibt, um Innovationen aus jüngerer Zeit weiter voranzutreiben – zum Beispiel die Selfscan-Funktion der HORNBACH-App, mit der Kunden ihre stationären Einkäufe via Smartphone selbst erfassen und so Kontakte vermeiden und Wartezeiten reduzieren. Dort, wo Märkte noch geöffnet sind, steigen die Zugriffe auf App und Selfscan rasant. Also wird die Funktion mit Blick auf mögliche Wiedereröffnungen kurzerhand an den geschlossenen Standorten ausgerollt, in sämtlichen Schweizer Märkten etwa ab Ende März.
Marktmitarbeiter liefern Ware im Miettransporter aus
Auch die Projektgruppe «Notfallkonzepte» leistet dazu einen weiteren Beitrag. Das Team um Olga Hahn hat innerhalb einer Arbeitswoche ein weiteres Konzept entwickelt: «Reservieren und Liefern». In Österreich, Rumänien und einigen deutschen Bundesländern wird der Kunde nun aus dem Markt heraus beliefert. Seine online reservierte Ware wird dort kommissioniert, ihm dann per Zufuhr zugestellt und direkt vor Ort oder per Prepayment bezahlt. Im Idealfall kommen lokale Spediteure zum Einsatz, oftmals wird die Ware aber auch von Mitarbeitern des Marktes zugestellt, im Miettransporter oder einem Fahrzeug aus dem Fuhrpark. Und da in den jeweiligen Regionen beständig neue Corona-Verordnungen erlassen werden, müssen bei der Zufuhr auch noch kuriose Hürden genommen werden. In Österreich dürfen zum Beispiel zeitweise nur noch Personen aus einem gemeinsamen Haushalt in einem Fahrzeug Platz nehmen. Das hat zur Folge, dass bei der Lieferung besonders schwerer oder sperriger Waren nun zusätzlich zum Spediteur im LKW auch noch ein Marktmitarbeiter im PKW zum Kunden fährt, um die Ware dort auszuladen. Eine Riesenaufwand, in puncto Wirtschaftlichkeit durchaus kritisch zu hinterfragen. Aber für viele Kunden eben auch ein Strohhalm, an den sie sich in einer schwierigen Situation klammern konnten.
Für all die Gärtner und Heimwerker, die jetzt dringend Material für ihre Gemüsebeete, für Reparaturen im Haushalt oder auch für Projekte im Innen- und Aussenbereich benötigen, entspannt sich die Lage erst im Laufe des Aprils wieder. Angesichts sinkender Infektionszahlen wird der Lockdown in immer mehr Staaten etwas gelockert. In Tschechien dürfen die Bau- und Gartenmärkte ab dem 9. April wieder öffnen, in Österreich ab dem 14., in Deutschland sind am 20. wieder alle Bundesländer auf einem Stand und in der Schweiz geht es am 27. wieder los. Anfang Mai folgt noch die Slowakei. Damit sind sämtliche 160 HORNBACH-Märkte wieder geöffnet.