«Stellt euch vor, ihr habt eine Woche Zeit und ein unbegrenztes Budget. Was würdet ihr machen?» Ausbildungsbetreuerin Andreea Feierstein schaut die sechs Auszubildenden des HORNBACH-Marktes im rumänischen Sibiu erwartungsvoll an. Sie haben jetzt zu zweit zehn Minuten Zeit, um ihre Vorschläge auf ein Flipchart schreiben. Ideen haben die Schüler genug: Hawaii, Dubai und Paris wollen sie sehen, und natürlich ein Privatjet, Auto oder eine Yacht kaufen - was man sich als Neuntklässler eben wünscht. Mit der spassigen Übung verfolgt Andreea Feierstein jedoch einen Zweck. Die Auszubildenden sollen lernen, zusammenzuarbeiten und Ergebnisse vor der Gruppe zu präsentieren. Die meisten kostet das etwas Überwindung, denn aus der Schule sind sie hauptsächlich Frontalunterricht gewohnt. «Ausbildung bei HORNBACH ist nicht nur Regale einräumen und Warenkunde. Wir müssen auch soziale Kompetenzen und Teamfähigkeit fördern, um die Jugendlichen optimal auf ihre Arbeit vorzubereiten», so Feierstein.
Für die rumänischen Auszubildenden hat in dieser Woche das zweite Semester begonnen, mit der ersten von fünf Praxiswochen im Markt. Stolz tragen sie zum ersten Mal ihre Berufskleidung. Mit den knallorangen Poloshirts und der Werkzeugtasche am Gürtel sind Anamaria, Cătălin, Cristian, Cristina, Isabela und Mesut jetzt endlich auch optisch Teil des HORNBACH-Teams. Alle kommen aus dem Umland von Sibiu und fahren jeden Morgen bis zu 40 Minuten mit dem Bus zum Markt oder zur Berufsschule im Stadtzentrum. Insgesamt verbringen die Schüler sechs Semester bei Hornbach. Gleichzeitig besuchen sie eine staatliche Berufsschule, wo sie zusammen mit Auszubildenden der deutschen Partnerunternehmen eine Klasse bilden. Neben den gewöhnlichen Schulfächern stehen zusätzlich handelsspezifische Inhalte wie Buchhaltung oder Warenqualität auf dem Lehrplan. Ausserdem lernen die Auszubildenden auf Wunsch der Ausbildungsunternehmen Deutsch, statt wie sonst üblich Französisch.
Im ersten Ausbildungsjahr verbringen die Jugendlichen noch rund 80 Prozent der Zeit in der Schule und 20 Prozent im Markt, im dritten Jahr ist das Verhältnis umgekehrt. Zum Abschluss gibt es zwei Zeugnisse: Ein rumänisches Berufsschulzeugnis und ein deutsches Zertifikat von der Deutsch-Rumänischen Industrie- und Handelskammer (AHK Rumänien), welche die Unternehmen bei der Umsetzung des Programms unterstützt und die Qualität der Ausbildung vor Ort kontrolliert. Der rumänische Staat fördert die duale Ausbildung mit einem monatlichen Stipendium von 200 Ron, HORNBACH legt noch einmal den gleichen Betrag obendrauf. Ausserdem finanziert HORNBACH die Fahrtkosten zum Markt in den Praxiswochen sowie ein warmes Mittagessen an den Praxistagen.
Eigentlich ein attraktives Angebot für die 15- bis 17-jährigen Schüler. Und dennoch: Bewerber für die Ausbildung zu finden ist nicht einfach. Die Mehrheit der Jugendlichen in Rumänien entscheidet sich nach wie vor für ein Hochschulstudium, von dem sie sich langfristig bessere Verdienstmöglichkeiten erhoffen. Um Schülern und Eltern die Ausbildung im Baumarkt schmackhaft zu machen, war reichlich Überzeugungsarbeit nötig. Fünf Ausbildungsmessen und 104 Schulen besuchte das HORNBACH-Team. Hinzu kamen Radiospots, Flyer, Plakate. Das grösste Problem: Das Konzept der dualen Ausbildung ist in Rumänien neu. Erst 2012 wurden in Rumänien wieder Berufsschulen eingeführt, seit 2017 gibt es eine neue Gesetzesgrundlage für die duale Ausbildung – auch auf Druck von Unternehmen, die händeringend qualifizierte Fachkräfte suchen. «Gerade in wirtschaftlichen Ballungszentren wie Sibiu konkurrieren sehr viele Unternehmen um geeignetes Personal» so Sebastian Metz, Geschäftsführer der AHK Rumänien, die sich seit Jahren für eine duale Ausbildung nach deutschem Vorbild einsetzt. Metz ist überzeugt: Durch die Investition in die duale Berufsausbildung gewännen Unternehmen nicht nur technisch exzellent qualifizierte Mitarbeiter, die sie von der ersten Sekunde an im Betrieb einsetzen können, sondern könnten diese auch emotional an das Unternehmen binden und langfristig halten.
Dass das funktioniert, zeigt ein Pilotprojekt, das Hornbach zwischen 2009 und 2012 zusammen mit der Deutsch-Rumänischen-Stiftung in Timisoara umgesetzt hat. Die von der Europäischen Union mitfinanzierte Ausbildungsinitiative hatte zum Ziel, Langzeitarbeitslosen eine duale Ausbildung im Einzelhandel zu ermöglichen. Damals gab es noch kein rumänisches Gesetz für die duale Ausbildung, die Inhalte wurden daher eins zu eins aus Deutschland übertragen und auf Rumänisch übersetzt. Einer der Absolventen dieses Programms ist Alexander Ivan, Marktleiter-Assistent bei HORNBACH in Sibiu. Er ist mittlerweile seit acht Jahren überzeugter HORNBACH-Mitarbeiter. Für die Ausbildung hat er seine Heimatstadt Timișoara für drei Jahre verlassen, kehrte dann als Teilbereichsleiter in der Gartenabteilung zurück bevor er die Assistentenstelle in Sibiu antrat. Jetzt ist er selbst als Ausbildungspate der wichtigste Ansprechpartner für die neuen Azubis. Ausserdem ist er zuständig für alle Schulungen rund um Produkte, Services und Prozesse im Markt. Insgesamt sind von den 61 Absolventen 47 übernommen worden, von denen heute noch 16 bei HORNBACH arbeiten, davon drei als Marktleiter-Assistenten. «Angesichts der extremen Fluktuationsraten, mit denen der Einzelhandel in Rumänien kämpft, ist das ein sehr gute Ergebnis», findet Gerhard Stolz, Ausbildungsverantwortlicher in der HORNBACH-Zentrale in Bornheim.
Andreea Feierstein ist überzeugt, dass Ausbildung auch bei den Jugendlichen zur Verbundenheit mit dem Arbeitgeber beiträgt. «Unsere Auszubildenden erleben hier drei Jahre lang jeden Tag, was das Unternehmen ihnen bieten kann und welche Perspektiven ihnen die Ausbildung eröffnet.» Tatsächlich stand HORNBACH bei den meisten der Auszubildenden nicht ganz oben auf der Wunschliste. Anders als die anderen Programmpartner aus dem Lebensmittelhandel, die hunderte Märkte in Rumänien betreiben, ist der Name HORNBACH deutlich weniger bekannt. Umso mehr strengt man sich an. «Mit dem Ausbildungspaten und den zusätzlichen Workshops im Markt bieten wir unseren Auszubildenden eine optimale Betreuung und können Wissen und Fähigkeiten vermitteln, welche die Arbeit auf der Fläche gut ergänzen», so Feierstein.
Nach den ersten Monaten zeigen sich die Auszubildenden sehr zufrieden. «Die Kollegen sind nett und motiviert, alle helfen sich gegenseitig», sind sich die Azubis einig. «Es ist immer etwas zu tun, und ich mag den Kontakt mit den Kunden», fügt Cristina hinzu. «Man kann viel lernen und hat einen sicheren Arbeitsplatz», meint Catalin. Für ihn war von Anfang an klar, dass er in die Baustoffabteilung will. «Mein Vater ist Handwerker – ich war schon öfters dabei, wenn er Türen und Fenster eingebaut hat. Daher kenne ich die Produkte.» Die anderen Auszubildenden haben sich zunächst alle Warenbereiche angeschaut und sich dann für die Bereiche Eisenwaren- und Elektro sowie Farben, Tapeten und Bodenbeläge entschieden. Bei HORNBACH einkaufen waren sie vorher noch nie, in ihren Warenbereichen kennen sie sich jedoch inzwischen gut aus. Als ein Kunde nach LED-Leuchten fragt, finden Christian und Mesut sofort das richtige Regal und helfen bei der Produktsuche.
Schon im September 2018 können die rumänischen Märkte mit weiterer tatkräftiger Unterstützung rechnen. Dann soll der neue Ausbildungsjahrgang mit 30 neuen Nachwuchskräften starten.
Ausbildung bei HORNBACH
Jedes Jahr rekrutiert HORNBACH europaweit rund 400 Auszubildende und duale Studenten für seine Bau- und Gartenmärkte, die Zentralen und die Logistikstandorte. Rund 70 % von ihnen absolvieren eine Ausbildung zur Verkäuferin/zum Verkäufer oder zur Kauffrau/zum Kaufmann im Einzelhandel. Für den wachsenden Onlinehandel sind jedoch verstärkt auch Informatiker, Logistiker und E-Commerce-Experten gefragt. Deshalb bietet HORNBACH erstmalig im Jahr 2018 den neuen Ausbildungsberuf Kaufleute im E-Commerce an. Ausgebildet wird im Wesentlichen zur Deckung des eigenen Bedarfs. Ausserhalb Deutschlands bietet Hornbach eine duale Ausbildung in Österreich, der Schweiz, Luxemburg und Rumänien an.